Ich weiß, ich war's (German Edition)
Hochschule wirklich sehr fruchtbar und es sind tolle Sachen entstanden. Es ging nicht darum, zwanghaft originell zu sein, es ging um die Erforschung von Möglichkeiten. Ich liebe die Wissenschaft, ich liebe Forscher, die sagen, sie probieren etwas Neues aus. Dass das manchmal chaotisch wirkt und dass da auch mal was in die Luft fliegt, ist ja klar. Aber manchmal kommt auch etwas Tolles heraus bei einer solchen Explosion.
Irgendwann kam aber doch ein bisschen Nörgelei auf: Erst hat man nur ein bisschen gewitzelt über das ganze Nekes-System, wollte sich ein wenig abgrenzen, ohne wirklich zu wissen, wie, aber dann wurde der Widerstand gegen diesen Avantgardewahn doch immer stärker: Avantgarde, Marmelade – wer will das sehen? Da fährt man doch den Film gegen die Wand, fand ich. Ich habe weiß Gott nichts dagegen, etwas gegen die Wand zu fahren. Aber wenn das nicht aus einem Moment der Euphorie heraus passiert, sondern nur, weil keiner der Mitfahrenden in der Lage ist auszusprechen, wie bescheuert dieser Weg ist, den man da fährt, ist das falsch.
Und so kam 1984 mein erster Langfilm zustande, den ich gedreht habe, um mich am Wahn des Experimentalfilms ein wenig abzuarbeiten. »Tunguska – die Kisten sind da« ist die Geschichte von einem gestrandeten Liebespärchen und drei neurotischen Avantgarde-Forschern, die am Rande des Nervenzusammenbruchs und auf dem Weg zum Nordpol sind, um den Eskimos dort Avantgarde-Filme vorzuführen und sie damit zu Tode zu quälen. So ungefähr kam mir jedenfalls der Experimentalfilm damals vor. Mit dem Avantgardewahn kann man Leute töten, das glaube ich bis heute. Denn die wahre Avantgarde ist der Tod. Erst im Moment des Sterbens sind wir Avantgardisten, weil wir tatsächlich etwas Unbekanntes sehen, uns aber nicht mehr mitteilen können. Ein Avantgardist, der sich mitteilen kann, ist keiner mehr: ein echtes Problem für jeden Avantgardisten.
Das Team bei »Tunguska« war toll und ich war glücklich. Natürlich auch wegen des wunderbaren Alfred Edel, der einen der Avantgardeforscher spielte. Alfred war ein großartig exzentrischer Schauspieler, der schon bei Werner Herzog, Hans-Jürgen Syberberg, Franz Reitz und Alexander Kluge gespielt hatte. Vor allem war er ein richtiger Philosoph. Kreuz und quer durch die Philosophiegeschichte kannte er sich aus, liebte es, zu reden und zu debattieren – mit Carl Hegemann hat er ein paar Jahre später in der Volksbühnenkantine immer so laut über die Preußen-Kriege diskutiert, dass alle anderen irgendwann gegangen sind. Alfred habe ich sehr, sehr geliebt. Er war anders als normale Schauspieler, die sich in irgendeine Rolle einfühlen, um sie so zu spielen, als sei man die dargestellte Person – das konnte er nicht, aber genau deshalb war er so gut. Selbst den Text konnte er nicht richtig auswendig. Also fing er einfach an, vor der Kamera oder später auf der Bühne irgendetwas zu erzählen. Und das war immer super.
»Tunguska« wurde dann zur Uraufführung nach Hof eingeladen, zu den Hofer Filmtagen. Erst mal war die Freude natürlich riesig, aber ich war so unzufrieden damit, wie die Handlung erzählt war, dass ich mit Norbert zusammen fast 15 Minuten des Films am Tricktisch nachbearbeitet habe, und zwar so, dass es aussieht, als würde der Film verbrennen. Immer wieder hebt die Handlung an, es ruckelt, dann glaubt man, dass das Filmmaterial brennt, und schwupp – ist die Handlung woanders und geht dort wieder weiter. Mit dieser bearbeiteten Version sind wir nach Hof gefahren und haben da dann erlebt, dass das Material sowieso macht, was es will.
Der Film lief im kleinsten Kino mit ungefähr achtzig Plätzen. Da fängt man immer an, wenn man in Hof startet, dann darf man langsam nach oben. Als es losgeht, sitze ich im Zuschauerraum, es ist voll und ich bin sehr aufgeregt. Irgendwann kommt die erste nachbearbeitete Szene, der Ton rattert, das Bild springt – und in diesem Moment wird der Projektor ausgeschaltet, das Saallicht geht an. Ich denke: »Was ist das jetzt? Wer macht denn da das Licht an? Der Film ist doch noch gar nicht zu Ende.« Also laufe ich hektisch nach hinten, klettere auf die Sessel in der letzten Zuschauerreihe, lerne bei dieser Gelegenheit die Kritiker Peter W. Jansen und Helmut Schödel kennen, weil ich beiden in meiner Panik auf die Füße gestiegen bin, und klopfe oben an die Scheibe des Filmvorführers. Da sehe ich einen älteren Herrn mit Vollbart, so einen bayerischen Wurzelsepp, der an dem Projektor zugange
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