Ich weiß, ich war's (German Edition)
glaube, wer von sich behauptet, er wäre im Dritten Reich als Guter durchgekommen, muss schon extrem stabil sein. So wie eben ganz wenige. Vielleicht wären es heute auch ganz viele, das weiß ich ja nicht. Ich glaube jedenfalls, ich selbst wäre gefährdet gewesen. Und deswegen habe ich mich immer mehr für die Täter als für die Opfer interessiert. Der Täter ist doch die schizophrene Figur, die man erforschen muss. Wo kommt der denn her? Der muss doch sozialisiert worden sein, irgendetwas muss doch da passiert sein. Dass Hitler mal Künstler werden wollte und dass er, weil das nicht geklappt hat, stattdessen eben Kriegskünstler geworden ist – das kann es als Erklärung doch auch nicht sein. Da muss doch noch mehr gewesen sein. Dieses Rätsel hat bis jetzt kein Guido Knopp, keine Albert-Speer- oder Leni-Riefenstahl-Biografie aufgelöst.
Natürlich auch ich nicht, aber mit »100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker« habe ich versucht, mich an diesen Unheilswahn des Faschismus ranzuwagen, möglichst nahe, denn man kann doch nur etwas vertreiben, was man auch ungeschützt und ungesichert an sich ranlässt. Nicht um Hitler, Göring oder Goebbels besser zu verstehen. Es ging nicht um irgendwelche historischen Psychogramme, nicht um Demaskierung, auch nicht um Trauerarbeit. Sondern es ging um den Wahn im Hier und Jetzt, um die Führergespenster, den Dreck in uns selbst.
Gedreht haben wir alles an einem einzigen Tag, für mehr Filmmaterial war kein Geld da. Aber das machte nichts: Ich wollte sowieso, dass alle beim Dreh so langsam einen Zustand erreichen, wo Müdigkeit eintritt, wo die Leute sich langsam Richtung Tod entwickeln und vor der Kamera zerfallen. Ich wollte diesen physischen und psychischen Zerfall nicht abbilden, sondern ich wollte, dass der Film selbst dieser Zerfall ist und den Zuschauer in diesen Prozess hineinzieht. Vielleicht hat das nicht richtig geklappt, viele Leute haben den Film ja gehasst und mir vorgeworfen, ich sei faschistoid – aber ich glaube eigentlich immer noch, dass der Ansatz richtig war.
Im Kern lautete die Frage: Was ist die letzte Stunde von Menschen, die sagen, sie möchten etwas ganz Großes erreichen, im Positiven wie im Negativen? Man will ein ganzes Universum bauen und sitzt dann nachher ziemlich zerschmettert und depressiv rum und muss mit ansehen, dass nichts dergleichen passiert ist, sondern das Ganze extrem viel Menschenleben und Freiheit gekostet hat. Dieser Moment ist eben die letzte Stunde im Führerbunker.
Wie gesagt: Ich glaube, wenn ich zum Beispiel wie Veit Harlan damals die Chance gehabt hätte, für die Ufa große Filme zu drehen, dann wäre ich gefährdet gewesen. Der Harlan fasziniert mich eben auch, zum Beispiel sein Melodram »Opfergang«: Das spielt in Hamburg, wurde dort im Dezember 1944 uraufgeführt, die ganze Stadt schon durch den Feuersturm zerstört, bei Harlan aber alles tipptopp, und am Ende kommt der große Satz: »Wer weiß, was wirklich ist.« Das sind einfach Momente, mit denen auch ich zu tun habe, kurz vor dem Hitler-Film habe ich ja dann auch ein Remake von »Opfergang« gedreht. Und bei einer Diskussion nach einer Filmvorführung von »100 Jahre Adolf Hitler« in Hamburg habe ich mal behauptet, dass ich wahrscheinlich ein exzellenter Aufseher in einem Konzentrationslager geworden wäre. Das war damals für Thomas Mitscherlich, den Sohn von Alexander Mitscherlich, der auch Filmemacher war, ein unglaublicher Fauxpas. Er hat sich wahnsinnig aufgeregt über diesen Satz, fand das eine Verniedlichung des Themas und meinte, ich sei ein kindlicher Nazi.
Es war bestimmt auch missverständlich. Was ich damit aber meinte, war dieses Abarbeiten-Müssen einer Angst. Wie schon bei »Menu Total«. Ich hatte die Angst in mir – manchmal spüre ich sie heute noch –, dass da irgendwelche Nazi-Moleküle in mir stecken. Und diese Angst habe doch bestimmt nicht nur ich, die schlummert doch wahrscheinlich in ganz vielen. Wie gesagt: Ich komme nicht aus einer alten Nazi-Familie, mein Vater war überhaupt nicht im Krieg, weil er zu jung war und außerdem ein viel zu schmächtiger Typ. Rippenfell- und Lungenentzündungen hatte er als Kind. Mein Patenonkel war in Stalingrad und behauptet, er sei gerettet worden, weil er irgendeine Medaille am Herzen getragen habe. Ein Schuss habe genau diese Medaille getroffen. Sein Bruder ist in Stalingrad als Feldpriester gefallen. Da erinnere ich mich noch an ein Bild bei meiner Oma, das mir immer
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