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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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ist und da irgendwie rumbastelt, weil er denkt, der Film brennt. Ich fuchtele mit den Armen und brülle: »Nein, nein, das ist im Film!« Aber er hört durch die Scheibe nichts. Deswegen rase ich raus, hintenrum und in den Vorführraum rein: »Das können Sie nicht machen, das ist im Film.«
    Der Vorführer war eben sehr gut konditioniert. In dem Moment, wo der Trick mit der Verbrennung kam, hatte er den Projektor ausgeschaltet, weil er gelernt hatte, dass er einschreiten muss, wenn der Film Feuer fängt. Als er dann merkte, dass der Film nicht wirklich verbrannt war, sondern dass das nur die Imitation einer Verbrennung war, ein Fake, war er sauer und wollte den Projektor nicht wieder einschalten.
    Er ließ sich schließlich doch noch erweichen und stellte ihn wieder an, auch das Saallicht wurde wieder ausgemacht. Der Film läuft also weiter, ich sitze gerade wieder, noch völlig außer Atem – da brennt der Film an der falschen Stelle. Ich bin echt entgeistert: »Ooh, was ist das jetzt?« Der Film bleibt stehen, schmort etwas, wird dann weitergerissen und die Handlung setzt einen Meter weiter wieder ein. Jetzt steigen natürlich die ersten zehn Zuschauer aus, dann die nächsten zehn. Ich rase also wieder nach hinten, steige den Kritikern erneut auf die Füße, klopfe wieder an der Scheibe – da ist aber keiner mehr im Vorführraum. Ich wieder nach draußen, rüttle an der Tür – die ist abgeschlossen. Dann nach vorne zur Kasse: »Sagen Sie, wo ist denn der Vorführer? Mein Film brennt!« »Der sitzt da drüben in der Kneipe und trinkt ein Bier.« Also ins Lokal: der Projektor, der Film, es brennt und so weiter. Sagt der Vorführer nur: »Do geh i net mehr rein.« Der hatte wirklich keine Lust mehr, weil er dachte, ich lass mich hier doch nicht verarschen.
    Als die Vorführung zu Ende war, war »Tunguska« sieben, acht Minuten kürzer als im Original. Passiert war Folgendes: Da wir auf 16 mm gedreht hatten, mussten die beiden kleinen Rollen für die Kinovorstellung auf eine große Auffangspule laufen. Und die hatte eine Friktionsbremse, die in falscher Geschwindigkeit eingestellt war. Somit kam unten der Film raus, fuhr auf die Auffangspule, aber so schnell, dass es immer wieder einen Ruck gab. Dadurch gab die Spule nach und der Film hing in einer Schleife auf dem Boden. Dann holte das Rad plötzlich wieder Tempo auf und – rutsch! – riss das Rad den Film ungefähr einen Meter durch und man sah plötzlich die Handlung einen Meter weiter.
    Der Film hatte sich also verselbstständigt. Ich bin kein Esoteriker, ich pendle nicht, im Gegenteil, ich habe Bammel vor diesen Leuten. Trotzdem war es faszinierend zu sehen, wie der Film das, was ich ihm angetan hatte, nun mir antat. Bei der anschließenden Diskussion mit den Zuschauern, die geblieben waren, habe ich dann eine Verzweiflungstat begangen und behauptet, die Vorführung sei sehr gut gelaufen, ich sei begeistert, weil das sowieso das Beste sei: Man müsste die Filme zerstören und über dem Publikum auswerfen, alle müssten die Schnipsel aufheben, den Zuschauerraum verlassen, und draußen säße dann der Regisseur mit einer Klebepresse. Dann könnten alle zusammen die Schnipsel neu zusammenkleben und den Film erneut vorführen. Das sei dann ein wahrhaft kollektives Ereignis. Das hat wahrscheinlich keiner wirklich ernst genommen, aber ich wollte die Situation irgendwie retten, das Beste aus der Katastrophe machen.
    So etwas habe ich später sehr oft gemacht, gerade bei meinen politischen Aktionen: das, was schiefgegangen ist, was nicht funktioniert hat, spontan umzudrehen und einen Erfolg auszurufen. Aus dem Flugzeugabsturz das Beste zu machen, noch kurz vor dem Aufprall zu rufen: »Kunstaktion!« Ich wollte nicht nur als blöder Unfall herunterknallen.
    Die Sache mit der Filmerei blieb auf jeden Fall ein ziemliches Desaster für mich. Auch finanziell. Nach »Egomania« war ich zum ersten Mal richtig verschuldet. Ich brauchte dringend einen Job und lernte Hans W. Geißendörfer kennen, als er zu Gast im Filmbüro Nordrhein-Westfalen war. Als er von meinen Schulden hörte, meinte er, ich solle doch mal bei der »Lindenstraße« vorbeikommen. Die Serie lief gerade seit einem halben Jahr. Den damaligen Produktionsleiter kannte ich von einer früheren Sache, und der engagierte mich dann als ersten Aufnahmeleiter. Das war wirklich schwierig, ich hatte keine Ahnung, wie so eine Fabrik funktioniert. Es ging schon morgens los mit der Maske. Zwei Stunden Zeit, zwölf

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