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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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nicht nur Licht, der braucht vor allem die Dunkelphase.
    Laut Godard besteht ein Film ja aus 24 Bildern pro Sekunde. Er sagt »24 Wahrheiten pro Sekunde«, aber ich glaube, da irrt er sich. Das sind mindestens sechs Bilder zu viel, weil man schon ab 18 Bildern pro Sekunde anfängt, eine flüssige Bewegung zu sehen. Bei 25 Bildern ist das Ganze schon über-flüssig, das heißt, dass man die Dunkelphase überhaupt nicht mehr wahrnehmen kann. Die ist aber entscheidend. Das heißt, es kommt auf die Spiegelung und die Perspektive an, nicht so sehr auf die Themen: Die wichtigen Themen liegen sowieso offen zur Bearbeitung rum, die sehen wir ja alle. Die sehen wir durch gigantische Bilderströme sogar oft so überdeutlich, dass wir davon völlig geblendet sind. Manche Dinge und Ereignisse sind so überbelichtet, dass wir überhaupt nichts mehr sehen, aber trotzdem wie die Besessenen darüber reden, um von unserer Blindheit abzulenken. Wie der 11. September 2001. Die Bilder, die wir von den einstürzenden Türmen und den zu Boden fliegenden Menschen zu sehen bekamen, waren so übermächtig, dass uns Hören und Sehen verging. Wir haben sie immer und immer wieder angeschaut, aber gesehen haben wir eigentlich nichts. Ohne Dunkelheit sind wir blind.
    Die Zeit bei Nekes war auch deshalb toll, weil ich Helge Schneider kennengelernt habe, der als Musiker und Schauspieler in diesem Nekes-Universum unterwegs war und den damals noch kein Mensch kannte. Helge lebte in einer Garage mit zwei Zimmern. Genauer gesagt: in zwei Garagen mit einem Durchbruch. An den Wänden hingen jede Menge Bahnen von Moltonstoff, um den Schimmel zu verdecken. Wenn man zu ihm kam, gab es immer einen Klotz gefrorenen Spinat, als Beilage ein Spiegelei. Beim Spiegelei konnte man wählen, sunny side up oder sunny side down. Und wenn wir fertig gegessen hatten, wurde gewaschen. Helge hatte noch so eine mechanische Waschtrommel mit einer Kurbel zum Drehen, und während irgendwer kurbelte, machte er ein bisschen Musik. Auch bei Helges erstem Solo-Auftritt in der Alten Post waren Nekes und ich dabei. Insgesamt waren wir neun Leute. Helge hatte einen kleinen Lautsprecher, der irgendwann kaputtging, weil die Batterie leer war. Da gingen die ersten zwei Leute. Daraufhin hat er den Trick mit dem Hasen vorgeführt: Tasche auf, Hase raus, zack: die Ohren oben ab, zack: Ohren wieder drauf. Das war ganz lustig beim ersten Mal. Aber er hat es bestimmt zehnmal gemacht – da waren die nächsten zwei Leute weg. Dann spielte er ein bisschen Klavier, und es gingen wieder zwei. Daraufhin hat er den Abend abgebrochen. Das war Helges erster Auftritt.
    Nekes war auch Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main und vermittelte mir dort Lehraufträge für Filmtechnik. Das war am Anfang ziemlich aufregend: Ich war gerade mal 23, die Studenten waren fast alle so alt wie ich oder sogar älter und ich hatte keineswegs den ganzen Unterrichtsstoff im Griff, ich konnte zum Beispiel noch nicht mit einer Bolex-Kamera umgehen. Aber Nekes machte mir Mut und meinte, man muss sich eben einfach trauen. Da habe ich mir wie zu Schulzeiten die Gebrauchsanweisungen der diversen Kameras aufs Klo gelegt – oben auf den Spülkasten –, bin in den Klassenraum und habe unterrichtet. Und wenn ich nicht weiterwusste, bin ich raus und habe schnell nachgelesen, wie’s geht. Kann ich nur empfehlen, das hat gut geklappt.
    Die Zeit in Offenbach war ein Traum für mich. Meinen Kurs besuchten um die 15 Studenten, sehr gute Leute waren das, und mit vielen habe ich mich angefreundet: mit Eckhard Kuchenbecker, der inzwischen einer der besten Tonmeister Deutschlands ist, Thomas Göttemann, Ralf Malwitz, Norbert Schliewe, Katrin Köster und, und, und. Auch Voxi Bärenklau, der mittlerweile als Lichtdesigner einer meiner wichtigsten Mitarbeiter und ganz engen Freunde ist, war damals auf der Hochschule. Wenn eine einzige Kerze auf der Bühne brennen und Voxi sagen würde, das soll hier heute Abend das Licht sein, dann würde ich das nicht nur akzeptieren, sondern richtig gut finden.
    Und wir haben nicht nur rumtheoretisiert, sondern auch tatsächlich Filme gedreht. Einer hieß »my wife in five«, war ein Episodenfilm, mit der Bolex gedreht und zum Teil selbst entwickelt und handkoloriert. Diese Filme waren wirklich eine sensationelle Gruppenarbeit. Weil wir alle an uns selbst gelernt haben, uns ausprobieren durften und das Prinzip der Kamera austesten konnten. Diese Experimentalebene war dort an der

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