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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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Schauspielerinnen – also habe ich die alle im Zehn-Minuten-Takt disponiert. Aber Ute Mora und Marie-Luise Marjan brauchten alleine fast zwei Stunden, weil die eine irgendwelche Inletts für die Backen bekam und bei der anderen ewig lange an den Haaren rumgefummelt wurde. Und plötzlich standen da zehn Schauspielerinnen hintereinander in der Schlange und sollten in fünf Minuten fertig sein. Das war das erste Desaster. Dann hatte ich plötzlich einen Schauspieler vergessen. Der rief mich an und fragte: »Sag mal, bin ich da nicht in der Szene?« Ich habe noch versucht, den Plan umzubauen, damit der Betrieb weiterlaufen konnte, aber ich hab’s nicht geschafft. Tausende von Fehlern habe ich in diesem halben Jahr gemacht. Irgendwann war’s dem Geißendörfer dann zu viel und er hat mich hochkant rausgeschmissen.

Ich kann nicht nur an das Gute glauben
    Künstler sollen in unserer Gesellschaft ja auf jeden Fall immer die Guten sein. Aber kein Mensch ist einfach nur gut! Und Gott ist nicht einfach nur gütig! Man muss doch schauen, was man selbst an Bösem in sich hat, welche Obsessionen und düsteren Gespenster in einem rumoren. Ich glaube auch den Leuten nicht mehr, die genau zu wissen meinen, was jetzt alles getan werden muss, damit hier endlich mal alles anders und besser wird. Wie viele behaupten, sie wüssten genau, was jetzt zu tun ist – unglaublich! Wenn ich so etwas höre, ist mir das inzwischen sehr, sehr fremd. Und ich bin sicher, es ist falsch. Das Leben besteht aus Gegensätzen und Widersprüchen, aus Irrwitz und Wahnsinn. Da kann man doch nicht so tun, als gäbe es nur die eine Wahrheit, als wäre eine saubere Trennung möglich: hier die Guten, da die Bösen. Ich kann nicht nur an das Gute glauben. Ich kann nie nur mit der einen Seite der Medaille leben. Immer ist da das Bedürfnis, auch die andere Seite anzuschauen. Ein bisschen wie der ungläubige Thomas; das ist für mich auch so einer, der mit der Hand zwanghaft noch mal Richtung Wunde muss und unbedingt reinfühlen will.
    Ich finde, ein Künstler – und Künstler ist eigentlich ein schlechter Ausdruck, ich meine jeden, der irgendwie abarbeitet, was im Leben auf ihn einstürmt – muss doch auch sagen können: Ich bin böse. Ich will das Böse in mir schildern. Eigentlich ist die gesamte moderne Kunst eine zutiefst böse und aggressive Veranstaltung. Zum Beispiel das surrealistische Manifest von Breton: »Die einfachste surrealistische Tat besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings, solange man kann, in die Menge zu schießen.« Oder Duchamps Readymades: Einen Gegenstand in einen anderen Kontext zu setzen, zum Beispiel einen Flaschentrockner oder ein Pissoir im Museum auszustellen, ist doch ein böser Akt. Oder plötzlich hinzugehen und zu sagen: »Ich nehme einen Eimer mit Farbe und schleudere den über eine Leinwand.« Was macht denn der da? Spinnt der? Das ist doch ein böser Vorgang, wenn man an all die schön ausgepinselten Bilder aus dem Mittelalter denkt. Oder plötzlich zu erklären: »Ich mache hier jetzt eine Fettecke ans Haus, außerdem nagele ich gleich mal noch meinen Fußnagel an die Wand. Mein Name ist Joseph Beuys, schönen Abend noch.« Das sind doch alles böse, aggressive Vorgänge, triebhafte Elemente, würde ich sagen.
    Gerade wir hier in Deutschland haben ja ein Riesenproblem damit zuzugeben, dass wir letztlich keine Ahnung haben, was diese ganze Veranstaltung namens Hitler war. Mir war und ist Hitler und die Zeit des Nationalsozialismus jedenfalls ein riesiges Rätsel. Natürlich habe ich Bücher gelesen, Dokumentationen, Ausstellungen und Filme gesehen, und hier noch und da noch – man kann ja nun wirklich genug darüber sehen und lesen. Aber diese ganze kritische »Vergangenheitsbewältigung« und märtyrerhafte »Erinnerungskultur« nützen überhaupt nichts, glaube ich. Im Gegenteil: Damit hält man sich die Vergangenheit hübsch sauber auf Distanz. Eigentlich sind sie eine gigantische Vernichtungsmaschine der Vergangenheit, die verhindert, dass dieser ganze giftig-pathetische Kitsch mal endlich richtig durchgearbeitet wird. Denn es bleiben ja trotzdem die Fragen: Was wäre ich denn zu der Zeit gewesen? Wäre ich nicht auch so ein Drecksschwein geworden? Hätte ich nicht auch mitgemacht? Hätte mich dieser Kitsch nicht auch angemacht? Diese Fragen haben mich eine lange Zeit sehr gequält. Und natürlich habe ich keine Antwort gefunden. Ich weiß es bis heute nicht. Aber ich

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