Ich weiß, ich war's (German Edition)
hat er mich deshalb am nächsten Tag angerufen und gefragt, ob ich sein Assistent werden will. Ich fand dieses Bilderchaos, was ich da gesehen hatte, nicht unbedingt so, wie ich mir Filme vorstellte, ich hatte auch keine Ahnung, wer Werner Nekes war – trotzdem war ich froh über dieses Angebot und habe die nächsten drei Jahre mehr oder weniger bei ihm und seiner Familie verbracht. Nekes hatte eine sehr gesellige Familie, die meist sehr nett zu mir war, weil ich viel Blödsinn gemacht und sie immer zum Lachen gebracht habe. Irgendwann kam auch mal Beuys zur Tür rein oder Bazon Brock oder Kurt Kren – das war schon sensationell.
Aber natürlich auch ein bisschen schwierig. Ich weiß noch: In den ersten zwei Wochen musste ich in Nekes’ Keller Hunderte von verrosteten Nägeln gerade kloppen. Ohne Erklärung, einfach so. Und er hat mir ständig Fehler vorgeworfen, ich war eigentlich an allem schuld. Nach vier Wochen Superarbeit beim Aufbau seiner Ausstellung in Frankfurt fragte er mich, was ich dafür haben wolle. Ich glaube, ich habe 500,– DM vorgeschlagen. Eine Stunde lang hat er kein Wort dazu gesagt, mir dann mindestens 24 Sachen aufgezählt, die ich in den letzten Monaten falsch gemacht hätte: Nägel nicht gerade genug gekloppt, Bilder schräg aufgehängt und so weiter – und mir am Ende 300,– DM pro Monat als Höchstmarke genannt.
Aber ich habe sehr, sehr viel bei ihm gelernt, denn er hat mich mit einem Virus gegen den Mainstream versorgt. Sein experimenteller Blick war damals wirklich wichtig für mich, wahrscheinlich hätte ich sonst die ganze Zeit verzweifelt versucht, Spielfilme mit einem ordentlichen Plot, stabil gebauten Charakteren und einem schönen Schluss zu machen. Nekes hat mir erklärt, dass man auch anders Filme machen kann, von ihm habe ich zum ersten Mal das Godard-Credo gehört, dass Anfang-Mitte-Schluss nicht unbedingt in dieser Reihenfolge stattfinden müssen. Man müsse auch die Kamera nicht nur dazu benutzen, um irgendetwas schön sauber abzufilmen, sondern könne ganz bewusst mit Mehrfachbelichtungen und Anschlussfehlern arbeiten, Einzelbilder drehen oder den Film zerhacken und neu zusammenkleben. All diese Vorgänge haben Nekes und seine Leute immer weitergetrieben – am Anfang dachte ich nur: Wahnsinn, was die da alles machen! Sachen, wo man normalerweise sagt: Das geht doch nicht, Material kaputt, was soll der Quatsch? Es war halt Experimentalfilm, Avantgardefilm – und ich durfte dabei sein. Das will ich auch nicht missen. Im Laufe der Jahre habe ich zwar immer mal wieder gehadert, dass Nekes mir das Mainstream-Bild kaputt gemacht hat, dass er schuld ist, dass ich kein Tatort-Regisseur geworden bin – aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich das sowieso nicht hinbekommen. Ich wäre völlig überfordert gewesen mit diesen Anforderungen nach einem stringenten Plot, psychologisch sauberen Charakteren und einem möglichst keimfrei durchorganisierten Arbeitsablauf.
Vor allem konnte man bei Nekes anfangen, die wichtigen Fragen zu stellen, Fragen danach, was die Filmtechnik mit dem Leben zu tun haben könnte. Ich glaube zum Beispiel, dass der Umlaufspiegel, diese Umlaufblende in der Filmkamera, die das Bildfenster abdeckt, während der Film transportiert wird, eine solche Technik ist, die ganz viel mit dem Leben und der Gesellschaft zu tun hat. Nicht nur als Metapher, sondern ganz konkret: Denn man muss ja immer kurz abdunkeln, damit das Auge die Einzelbilder verschmelzen kann. Das erste Bild zeigt zum Beispiel eine Hand, links vom Auge. Das zweite Bild zeigt die Hand ein Stückchen weiter rechts. Dazwischen gibt’s eine Lücke, eine Dunkelphase, unser Auge ist träger als das Gehirn. Und deshalb macht es schwupp und man glaubt, die Hand sei auch in der Mitte gewesen. War sie aber nicht. Sie war nur links und rechts, aber man glaubt, man sieht eine Bewegung. Und zwar wegen des Umlaufspiegels. Der wirft das Bild in mein Auge, und wenn der Spiegel sich vor meinem Auge befindet, wird das Bild auf den Film geworfen. Dann kommt der Spiegel zurück, dahinter wird im Dunkeln der Film weitertransportiert und wirft das nächste Bild wieder in mein Auge. Zwischen den Bildern ist also immer Dunkelheit, und diese Dunkelheit ist enorm wichtig. Ohne Dunkelheit keine Bewegung. Deshalb sind die, die nur dem Licht und der Aufklärung verbunden sind, die immer auf Helligkeit und Klarheit pochen, die sagen »Jetzt kommt die Wahrheit«, eigentlich die Lügner schlechthin. Wer Wahrheit will, braucht
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