Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
18. Jahrhunderts war ja die Abschaffung dieser Ständegesellschaft). Vereinfacht gesagt: Wer das Kind einer Bauernfamilie war, wurde selbst Bauer und blieb es sein Leben lang, ein von Geburt an Adliger blieb zeitlebens adlig. Für einen einfachen Bürger war es unmöglich, zu einem Fürsten aufzusteigen, und umgekehrt. Status war etwas Statisches. Eine Karriere à la Arnold Schwarzenegger war in der Ständegesellschaft undenkbar. Wovon auch immer die Menschen damals träumten, es waren jedenfalls noch keine amerikanischen Träume.
Obwohl zutiefst unfair, hatte diese Starre auch etwas Ehrgeiz-Dämpfendes und Beruhigendes: Ein Bauer im Mittelalter brauchte sich erst gar keine Hoffnungen auf eine höhere Position zu machen, der Adlige musste umgekehrt nicht in der Befürchtung leben, seine privilegierte Position in der gesellschaftlichen Hierarchie von heute auf morgen verlieren zu können (wenn sich dagegen heute bei einem Adligen herausstellt, dass er eine gewisse Leistung erschwindelt hat, etwa in Form einer abgekupferten Doktorarbeit, stürzt er vom einen auf den andern Tag von ganz oben auf der Karriereleiter tief nach unten: Auch für ihn ist das Leistungsprinzip – der erarbeitete Doktor-, statt der vererbte Adelstitel – für seine gesellschaftliche Position ausschlaggebend geworden).
Die soziale Unbeweglichkeit war aber noch aus einem weiteren Grund Baldrian für die Seele: Wenn wir in eine feste Position hineingeboren werden, sagt diese Position auch nicht viel über uns aus, über unsere Begabung oder unseren Fleiß. In der Ständegesellschaft fällte die Rolle, die einem Menschen zufiel, kein vernünftig begründbares Urteil über dessen Charakter. Sie besagte lediglich etwas über die Familie, aus der man kam und für die man ja nichts konnte. Ein Adeliger konnte für seinen höheren Status ebenso wenig, wie ein Bauer etwas für sein einfacheres Leben konnte. Der eine konnte sich kaum etwas auf seinen Status einbilden (auch wenn so mancher das sicherlich tat), der andere brauchte sich für das, was er war, nicht zu schämen.
Das alles gilt heute, um es kurz zu machen, kaum noch. Die soziale Statik hat sich im Laufe der Jahrhunderte weitgehend aufgelöst, um einer niemals ruhenden Dynamik Platz zu machen. In unserer Gesellschaft zählt für eine Karriere weniger die Familie, aus der wir kommen, und stattdessen mehr, zumindest weitaus mehr als früher, unsere Begabung, unser Fleiß, unsere kontinuierliche Leistung. In einer Leistungsgesellschaft können wir – so lautet wenigstens das Versprechen – nach oben kommen, wenn wir uns nur unermüdlich anstrengen.
Auf diese Weise aber verwandelt sich das, was sich ehemals keiner allzu großen Beliebtheit erfreute, die rastlose Tätigkeit, ganz von selbst in etwas Attraktives, ja etwas höchst Verführerisches: nicht nur, weil jetzt viele von uns prinzipiell die Chance bekommen aufzusteigen, sondern auch, weil die Position, die wir unter diesen freien Umständen einnehmen, Zeugnis darüber ablegt, aus welchem Holz wir geschnitzt sind.
»Jahrhundertelang hatten starre Hierarchien begabte und intelligente Menschen in die Schranken gewiesen«, beschreibt der Philosoph Alain de Botton die Entwicklung in seinem Buch Statusangst , »nun konnten sie ihre Talente und Fähigkeiten unter annähernd gleichberechtigten Bedingungen ausspielen. Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe oder Alter waren keine unüberwindlichen Karrierehemmnisse mehr. Endlich war in die Verteilung der gesellschaftlichen Güter ein Element der Gerechtigkeit eingekehrt.« Und de Botton fährt fort: »Aber das Ganze hatte, natürlich, auch eine Kehrseite: Wenn die Erfolgreichen ihren Erfolg verdienten, folgte daraus, dass die Verlierer selbst an ihrem Scheitern schuld waren. Wenn es in der Leistungsgesellschaft bei der Verteilung des Reichtums gerecht zuging, dann auch bei der Verteilung der Armut. Wer einen geringeren Status hatte, war nicht nur zu bedauern, sondern er hatte nichts Besseres verdient .« [116] Gesellschaftliche Freiheit bringt nicht ausschließlich stolze Gewinner, sie bringt auch ihr schmerzhaftes Gegenstück hervor: den Versager, den Loser .
Soziale Aufkleber wie »Leistungsträger« oder »Versager« haben dabei, im Gegensatz zu den permanenten Etiketten der alten aristokratischen Gesellschaft (»Graf Soundso«), stets etwas Momentanes, etwas chronisch Vorläufiges. Pi mal Daumen gesagt ist in einer freien, demokratischen Gesellschaft die Höhe unserer Position – und
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