Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
damit der Wertschätzung, die wir allgemein genießen – in etwa der Härte unseres Einsatzes der letzten Jahre proportional (und je mehr sich unsere Gesellschaft beschleunigt, desto mehr verkürzt sich dieser Zeitraum).
Das heißt, sobald wir einen Gang herunterschalten, können wir davon ausgehen, rasch von den Rastlosen um uns herum überholt zu werden und in der Hierarchie der Gesellschaft zurückzufallen. Diese flexible Dynamik entspricht nicht zuletzt unserem Gerechtigkeitsempfinden. Jemand sollte nicht nur deshalb in einer hohen Position sein, weil er irgendwann einmal, vor Jahrzehnten, etwas geleistet hat. Nein, er muss diese Produktivität schon dauerhaft an den Tag legen, um das Ansehen, das wir ihm entgegenbringen, auch wirklich zu verdienen.
Paradoxerweise erwächst so gerade aus der gesellschaftlichen Freiheit ein neuer Druck, fast schon eine Art Zwang, der darin besteht, dass wir von unseren Mitmenschen in eine Wettrüstspirale ununterbrochener, atemloser Leistung genötigt werden. Wettrüster aber sind nicht frei: Ihr Verhalten wird vom »gegnerischen« Mitrüster bestimmt.
Ja, je größer die allgemeine Freiheit ausfällt, desto freier entfaltet sich in der Regel auch das zwischenmenschliche Wettrüsten. Um das Prinzip am eigenen Leib zu spüren, braucht man sich nur mal auf die deutsche Autobahn zu begeben: Wo es kein Tempolimit gibt, da wird es in gewisser Weise rational, in einen BMW M5 mit 500PS zu investieren. Wer es dagegen wagt, mit läppischen 50PS unterm Hintern über die Autobahn zu schleichen, der braucht, umringt von 500-PS-Geschossen, schon starke Nerven.
Ähnlich verhält es sich in einer Arbeitswelt, in der Stechuhren als hoffnungslos veraltet gelten: Der Druck mag nun nicht mehr von oben kommen, dafür kommt er ab sofort von allen Seiten. Sobald einige Kollegen mit dem Spielchen Meine-Arbeit-ist-mein-Zuhause beginnen und im Büro ihr Zelt aufschlagen, werden Sie, wenn Sie nicht reagieren und Ihrerseits einen Zahn zulegen, bald zu den relativen Losern gehören. Es wird einer Ihrer Kollegen sein und nicht Sie, der die begehrte Beförderung bekommt. Die Arbeit wird zu einer Olympiade ohne Dopingkontrolle. (Ich weiß noch, wie mich ein Kollege auf dem Flur zur Seite nahm, als ich gerade als Volontär beim Tagesspiegel angefangen hatte. Eine Frau war an uns vorbeigegangen. Der Kollege deutete auf sie und sagte leise: »Hat bei den Chefs kein gutes Standing.« – »Und wieso nicht?«, fragte ich. Der Kollege: »Steht im Ruf, nur einen Nine-to-five-Job zu machen.«)
Fängt man in unserem Freundeskreis oder unserer Nachbarschaft ein Konsumwettrüsten an, beeinflusst das nahezu unausweichlich unser Empfinden, häufig auch unser Verhalten. Man muss schon ziemlich selbstbewusst, von stoischer Natur oder leicht autistisch veranlagt sein, um sich diesem Einfluss seiner Umgebung vollends entziehen zu können. Was aber tun die meisten von uns? Wir fühlen uns unter Druck gesetzt und rüsten mit: Wir gehen shoppen.
Dabei geht es uns meist gar nicht bewusst darum, uns an irgendeinem »Statuswettbewerb« zu beteiligen. Nicht zuletzt daraus aber, aus ihrer Unscheinbarkeit, speist die zwischenmenschliche Wettrüstspirale, der wir alle ausgesetzt sind, ihre Macht: Wir rüsten auch deshalb so munter mit, weil sich die Sache oft gar nicht wie ein Wettrüsten anfühlt. Im Gegenteil, häufig kommt der Druck auf leisen Sohlen daher, zuweilen fast angenehm, wie ein Wolf im Schafspelz, zum Beispiel so: Ein Freund von uns hat einen neuen Laptop und führt uns mit einem begeisterten Funkeln in den Augen und mit den besten Absichten vor, wie gestochen scharf die HD-Videos auf seinem neuen Gerät aussehen, wie schnell das Gerät Riesenmengen von Daten verarbeitet. Unser Freund will uns etwas Gutes tun und lässt uns eine Weile mit der Supermaschine spielen. Am nächsten Tag fühlt sich unser eigener »Computer« unerträglich langsam an, der Bildschirm erscheint blass und unscharf, als sei unsere Brille verschmiert. Unmöglich, noch länger mit dieser lahmen Kiste zu arbeiten. Also her mit dem Upgrade!
Oder wir treffen nach langer Zeit eine Freundin wieder, die in ihrer neuen Jeans und den hellbraunen, italienischen Wildlederstiefeln einfach toll aussieht, wodurch wir aber auch mit einem Mal relativ alt aussehen. Höchste Zeit, die Klamottenkollektion aufzufrischen!
Oder gute Bekannte laden uns zum Essen ein, um ihre neue Küche feierlich mit uns einzuweihen, sagen wir, eine schneeweiße Bulthaup-Küche,
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