Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
Aufmerksamkeit und Anerkennung, ähnlich wie die schnelllebigen Rosetani, woanders zu suchen, in der Arbeit, über die Leistung, mit Hilfe von Geld, Aufsätzen, Flugmeilen oder provozierender Selbstdarstellung, in der Hoffnung, auf diese Weise zumindest einen Hauch von Zuwendung aus ihrem Umfeld zu erfahren?
Und weiter: Würde nicht auch, wiederum wie bei den ehrgeizigen Rosetani, der demonstrative Konsum – ein ordentliches Auto, ein repräsentatives Haus, schicke Klamotten – in einer solchen anonymen Gesellschaft eine ganz andere Bedeutung bekommen als in einer Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt? In einer kleinen Gemeinschaft (Familie, Dorf) erscheint eine hohe Investition in Statussymbole fast als verschenkte Mühe, da in einer solchen Gemeinschaft ja jeder einigermaßen weiß, was der Paul oder die Susanne alles draufhat oder auch nicht. Paul müsste das nicht noch eigens durch einen Porsche unterstreichen, ganz abgesehen davon, dass sich der Wert einer Person in kleineren Gemeinschaften wohl ohnehin nicht zuallererst über Leistung und finanzielle Stärke definiert, sondern auch und vielleicht sogar eher über Eigenschaften wie Solidarität und Hilfsbereitschaft. Wie hilfsbereit jemand ist, erfährt man jedoch erst mit der Zeit. Man muss die Person kennen. (Ein Porsche zum Beispiel beweist zwar Investitionspotential, nicht aber Investitions bereitschaft , zumindest nicht in andere.)
Je mobiler und unpersönlicher dagegen eine Gesellschaft wird (radikalstes Beispiel: die Gesellschaft einer modernen Großstadt), desto weniger wissen wir über unsere Nachbarn und Mitmenschen. Das, was wir über unsere Mitmenschen erfahren, beschränkt sich zunehmend auf das, was wir unmittelbar sehen können. Das heißt, je anonymer eine Gesellschaft wird, desto mehr Macht bekommt der Schein, desto mehr lohnt es sich für uns, in Statussymbole und unser Äußeres zu investieren. Da die Begegnungen mit unseren Mitmenschen flüchtiger und wechselhafter werden, ist das, was andere über uns erfahren, ohnehin häufig auf eben unser Äußeres begrenzt. [130]
Es war der amerikanische Denker Thorstein Veblen, der den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Anonymität und wachsender Macht von Statussymbolen als Erster beschrieben hat, als er 1899 in seiner berühmten Theorie der feinen Leute folgende Beobachtung festhielt: »Die moderne industrielle Organisation wirkt sich auch noch in anderer Weise aus. Oft erfordert sie nämlich, dass Individuen und Haushaltungen nebeneinander leben, zwischen denen sonst keinerlei Kontakt besteht. Die Nachbarn sind gesellschaftlich gesehen oft keine Nachbarn, ja nicht einmal Bekannte, und trotzdem besitzt selbst ihre flüchtige gute Meinung einen hohen Wert. Die einzige Möglichkeit, diesen unerwünschten Zeugen des privaten Lebens die eigene finanzielle Stärke vor Augen zu führen, besteht darin, diese Stärke unermüdlich zu beweisen. In der modernen Gesellschaft begegnen wir außerdem einer Unzahl von Personen, die nichts von unserem privaten Dasein wissen – in der Kirche, im Theater, im Ballsaal, in Hotels, Parks, Läden etc. Um diese flüchtigen Beschauer gebührend zu beeindrucken und um unsere Selbstsicherheit unter ihren kritischen Blicken nicht zu verlieren, muss uns unsere finanzielle Stärke auf der Stirn geschrieben stehen, und zwar in Lettern, die auch der flüchtigste Passant entziffern kann.« [131]
Durch die Veblen-Brille betrachtet, erscheint unser Hang zum Materialismus – wie jener der neuen Rosetani – als ein eher verzweifelter Versuch, eine Art von Urzustand wiederherzustellen: als der Versuch, auch in einer Gesellschaft, zu der man nicht gehört (zu der niemand gehört), nicht mit kalter Gleichgültigkeit oder gar schnodderig, von oben herab behandelt zu werden, sondern mit einem gewissen Mindestrespekt. In erster Linie versuchen wir, die Wertschätzung, die uns abgeht, in einem kleineren Kreis von Kollegen zu erlangen, durch Leistung gewinnen wir ihren Respekt. Darüber hinaus aber, um uns diesem Urzustand anzunähern, der in kleineren Gemeinschaften auf natürlichere Weise herrscht, können wir, sobald wir das Büro verlassen haben, unseren Wert auch der anonymen Welt da draußen demonstrieren, und zwar indem wir uns mit Statussymbolen schmücken (Lacoste-Shirt, Mercedes), die jeder erkennt, auch wenn er uns nicht kennt.
Eine dritte und direktere Vorgehensweise schließlich, der Anonymität und Gleichgültigkeit der Gesellschaft da draußen ein
Weitere Kostenlose Bücher