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Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)

Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)

Titel: Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bas Kast
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abenteuerlustiger Emigranten eines gleichnamigen Dorfes in der italienischen Provinz Foggia, rund 300 Kilometer südlich von Rom. Ende des 19. Jahrhunderts waren sie, gelockt von den Verheißungen der Neuen Welt, von Roseto, Italien, in die USA emigriert und hatten Roseto, Pennsylvania, gegründet. Hatte man es also schlicht und einfach mit einem besonders robusten Menschenschlag zu tun, gesegnet mit Genen, die eine einmalige, antisklerotische Wirkung entfalten?
    Um dieser Vermutung nachzugehen, verfolgte Wolf (der sich dafür mit einem Soziologie-Kollegen, John Bruhn, zusammengetan hatte) das Schicksal jener Familienmitglieder Rosetos, die inzwischen woanders in den USA lebten, jedoch noch regelmäßig für das jährliche Gemeindefest zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge Karmel in ihr Heimatdorf Roseto zurückkehrten. Die Ermittlungen ergaben, dass die Abtrünnigen ungefähr ebenso häufig von Herzerkrankungen betroffen waren wie der Rest der Nation: Rosetos Schutzwirkung galt allem Anschein nach nur jenen, die Roseto auch wirklich die Treue hielten.
    Damit schieden die Gene als Erklärung wohl aus, nur: Was war es dann? Vielleicht die Ernährung? So plausibel auch dieser Erklärungsansatz war – wieder ließ sich dafür keine Bestätigung finden. Abgesehen davon, dass in Roseto ordentlich geraucht wurde, aßen die Rosetani nicht nur das, was ein Ernährungsberater als herzschonende Kost bezeichnen würde: Fettiges Essen wurde allseits geschätzt, wobei man beim Kochen nicht nur gesundes Olivenöl benutzte, sondern gerne auch Schweineschmalz, das billiger war, und Butter. Die Rosetani genossen ihren Schinken, verspeisten jede Menge Eier und tranken reichlich selbstgemachten Wein. Insgesamt schien das, was bei ihnen auf den Tisch und die Teller kam, für die damalige Zeit nichts Außergewöhnliches darzustellen, weder in positiver noch in negativer Hinsicht.
    Es gab allerdings einen anderen Aspekt an den Essgewohnheiten, der ungewöhnlich war: Es war nämlich so, dass viele Familien an einem bestimmten Tag mehr oder weniger das Gleiche aßen. »Montags aß fast jeder im Dorf Spezzati, also Spinat mit Eiersuppe«, erinnert sich eine Einwohnerin an die eigentümliche Sitte. »Dienstags war es Spaghetti mit Tomatensoße. Mittwoch gebratenes Hähnchen mit Kartoffeln. Donnerstags wieder Spaghetti. Am Freitag Fisch, natürlich. Kalbfleisch und Pfefferschoten gab’s am Samstag und Antipasti sowie Spaghetti mit Fleischklößchen am Sonntag.« [122]   Zu den üblichen Speisen und Zutaten schien sich eine eher unübliche Zutat zu gesellen, und diese Zutat bestand in einer besonderen Form von kulinarischer Gemeinschaftlichkeit.
    Und je länger sich die Forscher Wolf und Bruhn in Roseto aufhielten, je genauer sie die Leute im Dorf und ihren Umgang miteinander beobachteten, desto mehr Beispiele für diese ausgeprägte Gemeinschaftlichkeit der Rosetani fanden sie. »Das Dorf strahlte eine Art von positivem Teamgeist aus, den man etwa beobachten konnte, wenn die Einwohner ein religiöses Fest oder einen Geburtstag, einen Schulabschluss oder eine Verlobung feierten«, berichten Wolf und Bruhn. »Ihr soziales Augenmerk richtete sich auf die Familie, während in den Nachbardörfern, nach typisch amerikanischer Tradition, das Individuum im Fokus des Interesses stand.« [123]   Ob sich die Erklärung für das Rätsel, mit dem sie es zu tun hatten, in ebendiesem positiven Teamgeist der Rosetani versteckte? So jedenfalls schien es den Forschern mit der Zeit.
    Zu dieser Solidarität gehörte auch, dass man in Roseto seine Mitmenschen nicht durch extravagante Statussymbole in den Schatten stellte. Obwohl manche Rosetani wohlhabender waren als andere, hätte es nur ein dumpfer Brutus gewagt, sein Geld offen zur Schau zu stellen und damit anzugeben. »Als wir die Rosetani interviewten und untersuchten und das Dorf und seine Leute kennenlernten, stellten wir überrascht fest, dass sich die reicheren Textilfabrikbesitzer äußerlich nicht von den mittellosen Arbeitern unterscheiden ließen, weder hinsichtlich der Kleidung noch was ihr Verhalten oder ihre Sprache betraf. Die gepflegten Häuser aller Rosetani, ob reich oder arm, reihten sich nahtlos aneinander. Reichtum zeigte man nicht.« [124]  
    Diese Abneigung, mit seinem Wohlstand zu prahlen, erwies sich als Teil einer alten Tradition, die auf den Mythos vom »Malocchio« (»böser Blick«) zurückging. Dabei handelt es sich um den in vielen Kulturen gehegten

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