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Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)

Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)

Titel: Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bas Kast
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Aufmerksamkeitsverlierern zu gehören, zu jenen, die für ihre soziale Umwelt unsichtbar und inexistent sind.
    Der Nikotin-Charakter der Information
    Die Tatsache, dass so etwas wie ein normales Gespräch, in dem kein emotionales Armageddon verkündet wird, kaum noch ausreicht für die volle Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen, offenbart auch, dass das Normale, das Alltägliche geradezu unbefriedigend geworden ist für ein Gehirn, das sich in der gegenwärtigen Informationsflut daran gewöhnt hat, am laufenden Band mit abwechslungsreicher Action gefüttert zu werden. Wir sind, mit einem Wort, informationsverwöhnt, um nicht zu sagen informationssüchtig: Sobald der anregende Fluss neuer und möglichst spektakulärer Informationen nachlässt, stellen sich – wie beim Raucher, bei dem nach einer allzu langen Zigarettenpause das stimulierende Nikotin im Blut auf ein unangenehmes Tief absinkt – Entzugserscheinungen in Form von nervöser Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten ein.
    Anscheinend also ist die Lage, in der wir uns befinden, zwiespältig. Einerseits sind wir, wie unser Private-Handyzeit-Freund Hugh, Opfer des ständigen Abgelenktseins unserer Mitmenschen, die sich nach einem Maximum an Input und Abwechslung sehnen. Immerfort müssen wir uns bemühen und den Einsatz oder die Lautstärke erhöhen, um die Aufmerksamkeit unserer Umwelt für unsere Angelegenheiten zu gewinnen, und allzu bald wendet sich die verwöhnte, undankbare Umwelt wieder von uns ab, gelangweilt, auf der Suche nach neuen, spannenderen Ereignissen (die sich ja schließlich auch an allen Ecken und Enden finden lassen: Man muss nur den Computer anschalten).
    Zugleich sind wir, wie Hughs Freunde, auch Täter . Auch unsere volle und kontinuierliche Aufmerksamkeit ist teuer, auch wir sind anspruchsvoll, auch wir wollen nichts verpassen, wollen dauernd von unterhaltsamen Neuigkeiten unterbrochen werden, und wenn dieser anregende Input einmal ausbleibt oder die unserem Gehirn zugeführte Informationsdichte auch nur unter eine kritische Grenze sinkt, kommt es zu Langeweile und Verdruss.
    Was diese »Täter-Seite« betrifft, erinnert unser Zustand an die typischen Kennzeichen der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, ADHS. Ein ehemaliger Kollege von mir hat zwei sympathische junge Söhne, die beide von diesem Syndrom betroffen sind, und ihr Problem ist nicht etwa, dass sie sich generell nicht konzentrieren könnten. Im Gegenteil, sobald die beiden sich mit Grand Theft Auto IV beschäftigen, legen sie eine Fokussierfähigkeit an den Tag, die es mit Schachmeistern und routinierten Fluglotsen aufnehmen kann. Die Verhaltensauffälligkeiten fangen erst an, wenn die Jungs einfach nur still am Tisch sitzen müssen und nichts weiter tun dürfen als essen, was ihr Gehirn nicht annähernd genug auslastet. Wer weiß, vielleicht sind es unter anderem die Videospiele selbst, die ihr Gehirn mit einer derart angenehmsättigenden Informationszufuhr verwöhnt haben, dass ihnen so gut wie jede andere Umwelt dagegen blass erscheint und einer regelrechten Unterstimulation gleichkommt [134]   (ähnlich wie für ein Kind, das sich allzu sehr an Zucker gewöhnt, jedes kalorienärmere Stück Nahrung seinen Reiz verliert und gewissermaßen nach nichts mehr schmeckt).
    Da inzwischen so gut wie jeder Tag für Tag mit einem Informations-Overkill konfrontiert wird, wäre es da nicht möglich, dass wir mittlerweile als Gesellschaft insgesamt an einer mehr oder weniger ausgeprägten Form von ADHS leiden? Aus dieser Sicht wären die handfesten, pathologischen Fälle von Aufmerksamkeitsdefizitstörung nur scheinbar eine Kategorie für sich, mit der wir »Gesunden« nichts zu tun haben. Stattdessen würden die »Kranken« vielmehr das extreme Ende eines Kontinuums darstellen. Die Trennung von krank vs. gesund wäre eine allzu simple Dichotomie, der vereinfachende Versuch, einer fließenden Realität beizukommen. Geht man weiterhin davon aus, dass die Informationsflut in einer Gesellschaft mit dem Wohlstand dieser Gesellschaft tendenziell zunimmt, würde das erklären, warum es einen systematischen Zusammenhang zwischen dem Reichtum eines Landes und dem Ausmaß von ADHS-Fällen gibt. [135]  

    Und dieser Zusammenhang zwischen Informationsflut und Aufmerksamkeitsdefizit zeigt sich nicht nur im Quer-, sondern eben auch im Längsschnitt: Historisch betrachtet scheinen wir alle von einer milden Aufmerksamkeitsdefizitstörung betroffen zu sein. Viel gieriger als früher

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