Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)
Aufmerksamkeit für andere zu einem knappen Gut geworden. Die immer zahlreicheren Kanäle, über die wir ununterbrochen mit Informationen gefüttert werden, kommen da nur noch hinzu.
Wer es wagt, inmitten dieser uns umgebenden Informationsflut lediglich einige ausgewählte Informationen zur Kenntnis zu nehmen (wer es also wagt, sich zu konzentrieren ), der muss hohe Alternativkosten in Kauf nehmen. Soziale Netzwerke wie Facebook bieten uns an, mit Dutzenden von Menschen gleichzeitig in Kontakt zu treten. Wer angesichts dieser Möglichkeiten seine Kommunikation auf einige wenige Menschen beschränkt, muss zahlen: und zwar in Form verpasster Kontakte. In einem hilflosen Versuch, die Alternativkosten zu senken, bleibt uns nichts anderes übrig, als jeder einzelnen Information und Person weniger Aufmerksamkeit zu schenken und/oder unsere Aufmerksamkeit zu teilen, vierteln, achteln …
Gut, ich bin natürlich eine anachronistische Figur, die das Pech hatte, nicht mit dem iPhone und Facebook aufgewachsen zu sein. Viele Jugendliche dagegen, könnte man meinen, haben mit alledem kein Problem. Sie haben sich längst daran gewöhnt, dass jeder ständig abgelenkt und stets auf mehreren Kanälen unterwegs ist. Menschen passen sich an. Also, was soll’s!
Das klingt einleuchtend, wahrscheinlich ist es auch nicht ganz falsch, und doch trifft es anscheinend auch nicht ganz zu. Vielmehr lassen sich, wie sich herausstellt, auch innerhalb der Generation Facebook Vertreter finden, die langsam, aber sicher vom ewigen Multitasking ihrer Mitmenschen genervt sind, ja die sich nach kaum etwas so sehr sehnen wie nach Momenten ungeteilter Aufmerksamkeit.
So stieß zum Beispiel die Soziologin Sherry Turkle vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf eine wiederkehrende Überraschung, als sie im Rahmen einer Studie mit Hunderten von jungen Menschen und zahlreichen Eltern über die Entwicklung der neuen Medien sprach: Oft waren es ihrer Erfahrung nach gerade die jungen Leute, die sich über die chronische Teilabwesenheit ihrer Eltern und Freunde verstimmt zeigten. Der dauernde Kampf um etwas eigentlich Selbstverständliches – hin und wieder ungeteilte Aufmerksamkeit jener Menschen, die uns nahestehen – schlug so manchem von ihnen gehörig auf die Laune.
Einer von Turkles Interviewten, ein 25-Jähriger namens Hugh, hatte das Multitasking (etwa: gleichzeitiges Telefonieren, Simsen und auf Facebook herumklicken) seiner Kumpels dermaßen satt, dass er ihnen mittlerweile so etwas wie »private Handyzeit« abverlangte. Seine Freunde sollten während eines solchen Spezialtelefonats »die Verpflichtung eingehen, dass sie nicht noch weitere Anrufe anderer Leute entgegennehmen werden, dass sie währenddessen nichts anderes tun«.
Den jungen Mann störte es selbst, wenn ihn seine Freunde auch nur von unterwegs aus anriefen: »Ich kann keine ernsthafte Konversation mit jemand führen, der währenddessen von einem Verkaufsmeeting zum nächsten eilt«, klagte er gegenüber der Soziologin Turkle und schilderte ihr die Herausforderung seines Unterfangens: »Private Handyzeit ist die schwierigste Sache, die du kriegen kannst. Die Leute wollen die Verpflichtung nicht eingehen.«
Kaum jedoch war es unserem Freund halbwegs gelungen, seine Sonderansprüche einigermaßen durchzusetzen, da bereute er sie auch schon wieder. Denn indem er von den Leuten verlangt hatte, sich – in einer Welt, in der unendlich viel los ist – hinzusetzen und sich Exklusivzeit nur für ihn zu nehmen, nur um zu reden, hatte er, wie er selber meinte, die Latte wahrscheinlich doch etwas zu hoch gelegt: »Sie sind enttäuscht, wenn ich dann nicht mit, sagen wir, einer Depression, einer eventuellen Scheidung oder Entlassung aufwarten kann. Wenn du um private Handyzeit bittest, hast du auch besser wirklich etwas zu bieten.« [133]
Der letzte Punkt ist aufschlussreich, weist er doch einmal mehr darauf hin, wie teuer die knappe Ressource Aufmerksamkeit heutzutage geworden ist. Weit davon entfernt, dass uns irgendjemand seine oder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit gratis zukommen ließe (einzige Ausnahme vielleicht: unsere Mutter), müssen wir sie uns vielmehr verdienen . Das heißt, entweder wir lassen uns etwas einfallen, strengen uns an, strampeln und strampeln, um unseren Zuhörern und Zuschauern etwas Besonderes bieten zu können, etwas, das ihre kostbare Aufmerksamkeit auch wert ist. Oder wir müssen uns mit der bitteren Pille abfinden, zu den
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