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Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)

Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition)

Titel: Ich weiß nicht, was ich wollen soll: Warum wir uns so schwer entscheiden können und und wo das Glück zu finden ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bas Kast
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Glauben, dass schon der neidvolle Blick eines Mitmenschen Unheil, Krankheit und Tod über einen bringen kann. Also sollte man den Ball möglichst flach halten und nicht mit Protzerei die verhängnisvollen Blicke der Nachbarn auf sich ziehen.
    Es hatte etwas Ironisches – nachdem er, der Universitätsprofessor und Schulmediziner Stewart Wolf, Roseto jahrelang studiert und mit Statistiken und Blutwerten zu erfassen versucht hatte, gelangte er am Ende zum Fazit, dass die herzschonende Wirkung des Ortes nicht zuletzt einem irrationalen Mythos zu verdanken war. Der damit zusammenhängende solidarische Lebensstil der Rosetani war es, der ihr Herz zu schonen schien.
    Natürlich war auch das nicht mehr als eine gewagte Hypothese. Sollte man sie überhaupt ernst nehmen? Dass etwas so Unmedizinisches, so Schwammiges wie »Gemeinschaftssinn« einen Einfluss auf die nüchterne Mechanik jener Pumpe namens Herz haben könnte, klingt ja wohl eher nach Großmutters Weisheit als nach evidenzbasierter Medizin. Dr. Wolfs Spekulationen wurden in der Fachwelt zu Recht mit einer gesunden Portion Skepsis begrüßt.
    Die Zeit jedoch spielte den Forschern in die Hände und lieferte ihnen einen eindrucksvollen Beleg für ihre Hypothese, und zwar in Form einer neuen Kontrollgruppe. Just nämlich während Wolf und sein Team Roseto beobachteten, wuchs dort eine Generation von jungen, ruhelosen Rosetani heran, die dabei waren, die alte Tradition und Kultur zugunsten des verlockenden American Way of Life , den sie um sich herum sahen, aufzugeben. Jene ursprünglichen Immigranten aus dem 19. Jahrhundert waren langsam alt geworden. Sie wurden weniger. Ihr Einfluss verschwand.
    Bis in die 1960er Jahre hinein hatten die Familien in Roseto üblicherweise in einem Drei-Generationen-Haushalt gewohnt, die erwachsenen Kinder arbeiteten ja auch allesamt in der Nähe. Das änderte sich nun. Viele der jungen Erwachsenen der neuen Generation – von den anderen im Dorf »die Schnelllebigen« genannt – strebten nach einer besseren Ausbildung und besseren Jobs. Unzufrieden mit den beschränkten Möglichkeiten, die das Dorf zu bieten hatte, verließen sie Roseto, um in größeren Städten ein Studium aufzunehmen, und kehrten (wenn sie zurückkehrten) als Ärzte oder Anwälte zurück. Allmählich wuchs eine reiche Schicht heran, die auch in ihrer Freizeitgestaltung anspruchsvoller war und Ausflüge nach Las Vegas oder Reisen nach Europa unternahm oder auch mal eine Kreuzfahrt buchte.
    Die Tradition der bewussten Bescheidenheit, die unter den Rosetani geherrscht hatte, verlor an Bedeutung. Schon bald tauchte der erste Cadillac auf, gefolgt vom ersten Mercedes, was den Boden bereitete für den ersten Rolls-Royce. Einige der Neureichen hatten angefangen, am Rande des Dorfs große neue Häuser zu bauen, mit üppigen Gärten, Springbrunnen und Schwimmbädern, was weitere und noch größere Häuser nach sich zog. Die ersten Villen im Wert von über 100 000 Dollar entstanden, ausgestattet mit aufwendig dekoriertem Design-Interieur.
    Nicht alle freuten sich über diese Veränderungen, ja mitunter spürten nicht zuletzt jene, die die Entwicklung vorantrieben, ihre Ambivalenz: »Ich finde es schade, dass wir umgezogen sind«, so eine der wohlhabenderen Frauen von damals. »Alles ist modern und sehr schön hier. Ich habe alles, was ich brauche, außer Menschen. Als wir noch im Dorf lebten, waren die Nachbarn ständig in meiner Küche, oder ich war in ihrer. Wir redeten. Wir wussten, was los ist, und es gab immer jemanden, der dir half und dich daran hinderte, dich einsam zu fühlen. Ich vermisse das, werde aber wohl nie mehr zurückkehren.« [125]  
    Zur Modernisierung Rosetos gehörte auch, dass die Rosetani anfingen, bewusst auf ihre Gesundheit zu achten. Man aß weniger Fett, Frauen meldeten sich bei Weight Watchers an, Männer rauchten weniger. Das jedoch schien ihrem Herzen nicht zu helfen. Im Gegenteil, in dem Maße, in dem man den Geist der Gemeinschaft- und Gemächlichkeit aus dem Dorf trieb, ging auch dessen herzschonende Schutzwirkung verloren. Mit den Cadillacs und den Villen, mit dem Statuswettrüsten der Schnelllebigen und dem daraus resultierenden Druck auf die anderen im Dorf, mit ihren erfolgreichen Nachbarn Schritt zu halten, kamen schließlich auch die Herz-Kreislauf-Probleme nach Roseto: Bereits um das Jahr 1970 herum war Roseto in vieler Hinsicht nichts Besonderes mehr, die Magie des Dorfes war verschwunden, die Herzinfarktrate war so hoch wie

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