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Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)

Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)

Titel: Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B. Ragde
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Bus in Richtung Innenstadt gesessen. Sie saß da mit ihrem Körper, in ihren Kleidern, dem beigen Mantel, den sie schon während der ganzen Schwangerschaft getragen hatte.
    Sie saß da und war einfach vorhanden. Jedenfalls war sie ein Gewicht auf dem Bussitz. Ihre Knöchel wurden weiß, wenn der Bus sich bewegte, obwohl die Bremsen des Kinderwagens vorgelegt waren und die nagelneuen Gummireifen des Wagens an dem wogenden Busboden festzukleben schienen.
    Im Bus waren nur Fremde, wenn sie die Augen geschlossen hätte, hätte sie nicht einen dieser Menschen beschreiben können, von denen sie wusste, dass sie dort saßen. Sie schaute aus dem Fenster. Es war Frühling, registrierte sie. Aber welcher Tag es wohl war? Sie dachte, dass sie vielleicht an diesem Tag mit dem Kind zur Kontrolle gemusst hätte.
    Die Decke im Wagen bewegte sich ein wenig.
    Dann kam das Geräusch. Ein dünnes kleines Jammern aus einer rosa Menschenkehle, die nicht viel größer war als die eines Kätzchens. Sie schaukelte den Wagen, obwohl der Bus ihr diese
Arbeit eigentlich abnahm. Das Geräusch verstummte. Vor einer Dreiviertelstunde hatte sie ihn gestillt, das hatte sie getan, vor einer Dreiviertelstunde, eine Dreiviertelstunde war nicht lang. Aber sie wusste nicht so recht, wie viel er abbekommen hatte.
    Noch zwei Haltestellen, dann müsste sie aussteigen. Ob sie es schaffen würde aufzustehen? Das Gewicht auf dem Sitz, war sie das? Diese Wärme um die Schultern, kam die von ihrem alten Mantel? Das Einzige, dessen sie sich bewusst war, war ihre Hand. Die Hand, die hielt, die sie an den Wagen kettete, die absolut wichtigste Hand hier im Bus, die einzige Hand hier im Bus. Sie war eine Hand, alles in ihr war Hand, das Einzige in ihr. Sich auf nagelneue Gummiräder und Wagenbremsen zu verlassen, war lächerlich, wäre die Hand nicht, die festhielt, wäre es schwer zu sagen, was aus dem Kind werden würde. Es könnte gestohlen werden. Nur ein Augenblick würde reichen, wenn sie aus dem Fenster schaute und die Bustür sich öffnete und eine Verrückte, die kein eigenes Kind bekommen konnte, das Kind an sich riss. Oder der Wagen könnte umkippen, und das Kind würde auf den verschmutzten Boden kullern, und jemand würde darauftreten.
    Ihr Unterarm tat ihr schon weh, und sie fasste den Wagengriff mit der anderen Hand, ließ aber mit der rechten erst los, als die linke fest zugepackt hatte. Es war wie das Überreichen der Stafette. Und nach einer Weile, wenn die verrückte und unfruchtbare Frau das Muttersein satthätte, könnte sie einfach eine Stecknadel holen und sich auf die Fontanelle des Kindes konzentrieren.

    Sie dachte oft an die Fontanelle, immer kam das Bild zu ihr, wenn sie das Kind wiegte, mit ihrem Mund an dieser Fontanelle. Die Geschichte war zu einem Gefühl geworden, einer Gewissheit, etwas Lebensgefährlichem. Es ging um eine Frau in England vor langer Zeit, die ausgesetzte neugeborene Babys und Waisenkinder zu sich nahm und das Geld für das erste Jahr
in einer großen lukrativen Summe ausgezahlt bekam, egal ob die Kinder dieses Jahr überlebten oder nicht. Die Hälfte starb dann auch recht bald. Sie wagte wohl nicht, bei mehr als der Hälfte das Schicksal herauszufordern, und das tat sie, indem sie Stecknadeln in die Fontanelle bohrte, diese kleine Vertiefung im Schädel, wo die Knochen noch nicht zusammengewachsen waren und das Gehirn weich und offen gleich unter der Haut lag. Drei oder vier Stecknadeln pro Baby, berichtete die Geschichte. Es war nur herausgekommen, da ein Besucher des Pflegeheims es entdeckt hatte. Ein Baby war durch einen Irrtum im Pflegeheim dieser Frau gelandet, es hatte eben doch Verwandtschaft, und als dieser Verwandte den Kopf des Babys gestreichelt hatte, hatte er einige kleine Knubbel bemerkt und dann plötzlich eine feuchte und fettglänzende Stecknadel in der Hand gehabt.

    Herzzerreißend grauenhaft, das hatte sie gedacht, als sie diese Geschichte gehört hatte. Sie war damals noch schwanger gewesen, es war zu Beginn der Schwangerschaft, sie war erfüllt und stolz, war eine andere, eine Frau, der etwas gelang. Als sie kürzlich wieder an diese Geschichte gedacht hatte, war ihr die seltsam vorgekommen. Seltsam, dass die Frau keine Nähnadeln genommen hatte. Eine Nähnadel wäre einfach durch die Haut geglitten, ohne oben Knubbel zu hinterlassen, die jemand berühren und entdecken, entlarven könnte. Denn damals wurden Waisenkinder in England sicher nicht obduziert, warum hätten sie das tun sollen, wenn

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