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Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)

Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)

Titel: Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B. Ragde
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niemand diese Kinder betrauerte? Warum hatte sie also Nadeln mit Kopf benutzt?

    Und dann stieg ihr ehemaliger Klassenkamerad in den Bus. Hieß er nicht Ivar? Doch, so hieß er.
    Sie hatte den Wagen nicht losgelassen. Sie hielt ihn fest, auch wenn sie nur weglaufen wollte. Aber sie erkannte ihn und blickte
ihn an. Später meinte sie sich zu erinnern, dass sie noch versucht hatte, ein Lächeln hervorzubringen, aber da war sie sich nicht ganz sicher. Er trat in den Mittelgang und schien alles mit seinem breiten, sorglosen Körper zu füllen, er erwiderte ihren Blick und ging weiter, ehe er sich zwei Reihen hinter ihr hinsetzte.

    Er hatte sie nicht erkannt. Denn sie war eine andere geworden. Ein Schatten. Nur eine Hand, mehr war sie nicht.

    Sie hatte die Decke im Wagen angestarrt. Jetzt müsste sie an der Schnur ziehen. Sie musste aussteigen, sie spürte den Geschmack von Magensäure ganz hinten im Mund, sie würde mitten auf die hellblaue Decke kotzen, die Halvors Mutter in einer komplizierten Technik gehäkelt hatte. Einzelne Maschen hoben sich als gewölbte Blasen von einem flachen Boden aus festen Maschen ab, ein anspruchsvolles Muster.
    Der Fahrer schien nicht aufstehen zu wollen, um ihr mit dem Wagen zu helfen. Er war ein widerlich fetter Mann mit seinem weißbehemdeten Bauch über dem Lenkrad. Er schaute aus dem linken Fenster und wich dem Rückspiegel aus, um nicht aufstehen zu müssen.
    Dann kam er. Ivar. Sprang hilfsbereit aus dem Bus und wartete auf dem Bürgersteig, um den Wagen anzunehmen.
    »Tausend Dank«, sagte sie, als der Kinderwagen auf dem Asphalt stand.
    Er hob den Blick und sah sie an, sie konnte seinem Blick nicht ausweichen und merkte, wie in seinem etwas erwachte.
    »Bist du das? Bist du das wirklich? Wie nett, dich mal wiederzusehen, Aud, wir haben uns ja ewig nicht gesehen!«, rief er und lächelte plötzlich breit und hielt ihren Blick noch immer fest.
    »Und du bist Mutter geworden, ist das dein erstes?«
    Sie nickte. Er musste wieder in den Bus springen, zum Glück wollte er hier nicht aussteigen. Sie ja eigentlich auch nicht, aber lieber würde sie den ganzen Weg nach Hause zu Fuß gehen. Sie hatte in der Innenstadt doch nichts verloren, ein Ausflug in die Stadt war nur ein Versuch, die Stunden träge verstreichen zu lassen unter Menschen mit normalen Leben.
    »Wirklich nett, dich zu sehen, Aud!«, rief er, ehe die Tür sich schloss und dicke schwarze Busreifen sich vorüberwälzten, nur Dezimeter vom Kinderwagen entfernt. Was, wenn sie den Wagen genau in diesem Moment umgestoßen hätte, so dass das Kind daruntergekullert wäre? Keine Bewegungen. Ein plattgepresster Körper, aus dem es rot aus den Kleidern quoll. Schreie, Ohnmacht, Bremsgeräusche, Sirenen. Er hatte ihr durch das Busfenster zugewinkt, sein Lächeln war so breit wie das Glas, sie stand da, und der Wagen stand da wie vorher, sie klammerte sich daran, um nicht zu fallen, mit beiden Händen hielt sie ihn fest und ließ nicht los.

    Der Kinderwagen war wie ein riesiges Fahrzeug gewesen, an dem sie festhing.
    Das Kind lag jetzt still da, mit geschlossenen Augen und kleinen kurzen Atemzügen, ein winziges Herz, das beunruhigend schnell schlug. Aber sie wusste ja, dass das normal war. Sie liebte ihn nicht genug, das musste der Grund für alles andere sein. Dass ihre Milch vertrocknete. Dass sie immer wieder an diese Fontanelle dachte.
    Bist du das, Aud? Bist du das wirklich?

    Sie hatte sich im Gebüsch hinter einem Trafohäuschen erbrochen, hatte ein wenig Linella-Papier aus dem Fußende des Wagens gezogen und sich Mund und Augen gewischt. Sie brauchte sich keine Sorgen wegen verlaufener Wimperntusche zu machen, sie
hatte sich schon seit Monaten nicht mehr geschminkt. Wie sah sie überhaupt aus? Ihre Haare. Sie berührte ihre Haare. Spürte die tote Kälte, die darin lag. Wie konnten Haare leben, dünne Halme ohne Platz für Blut? Das ergab doch keinen Sinn. Was sollte das? Warum war er gerade heute in den Bus gestiegen?
    Aber er hatte sie nicht sofort erkannt.
    Er war einfach an ihr vorbeigegangen, so war das gewesen. Weil sie nur eine Hand gewesen war, wie hätte er eine einzelne Hand in der Menge von Händen im Bus erkennen sollen?

    Wie ein träger Roboter war sie weitergegangen, bis sie nach Hause und zum Block und zum Treppenhaus gekommen war. Wie schafften Mütter es, nach einem langen Fußmarsch Kinder und Einkaufstaschen eine Treppe nach der anderen hochzuschleppen? Sie hatte nur sechs Stufen und war doch jedes Mal

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