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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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mir leid«, antworte ich. Ohne eine Erklärung, ohne irgendetwas mehr. Es tut mir wirklich einfach nur leid. Deshalb vereinbaren wir einen neuen Termin. Und ich schreibe abends im Forum:
    »Ich kann diesen Weg nicht gehen. Anscheinend. Ich dumme, feige Kuh konnte es nicht. Hab es nicht getan. Spitze. Ich krieg es einfach nicht auf die Reihe. Das ist doch unglaublich. Dann wollen einem Menschen helfen, aber man ist dazu nicht in der Lage. Das ist doch einfach nur bescheuert. Ich hasse mich so sehr dafür.«
    Missbrauchs-Forum, 20. Juni 2011, 23:52 Uhr

3. Zweite Vernehmung
    »Die Täter sind nach Angaben der Bundesregierung zu 93 Prozent den Opfern bekannt, zu zwei Dritteln gehören sie der Familie oder deren nahem Umfeld an. Die Opfer sind dann oft vom Täter abhängig. Häufig verhindern auch offene Drohungen und ›gemeinsame Geheimnisse‹ die Anzeige. Dazu kommt die Scham des Opfers. Manche fühlen sich sogar schuldig, den Täter ›verführt‹ zu haben.«
    Veit Schiemann, Pressesprecher Weißer Ring e. V.
    S chon beim Aufwachen geht es mir furchtbar. Noch ehe ich die Augen so richtig öffnen kann, rast mein Herz und mir wird speiübel. Denn der erste klare Gedanke dieses Tages ist: Heute muss ich wieder zur Polizei, meine zweite Aussage machen. Am liebsten würde ich einfach liegen bleiben. Oder wenn ich genauer in mich hineinhorche: Ich möchte bitte ab sofort von der Welt vergessen werden und stattdessen hier einfach nur liegen, irgendwann einschlafen und nie wieder aufwachen. Das trifft es eher. Wozu soll ich leben, wenn alles immer nur eine Qual ist? Wozu diese Anzeige? Ändert die etwas? Kann man damit irgendetwas ungeschehen machen? Nein! Ich muss mich nur noch einmal mit allem auseinandersetzen, mich erinnern an Dinge, die ich doch bloß vergessen will, und meine Mutter wird sich noch weiter von mir entfernen, als sie sich eh schon hat … Alles scheiße!
    Unzufrieden steige ich aus dem Bett und tappe rüber ins Bad. Schnell duschen, Zähne putzen. Danach bändige ich meine dunkelblonden Locken mit einem Haargummi zum Pferdeschwanz. Zuletzt Kajal und Wimperntusche. Fünfzehn Minuten. Mehr Zeit nehme ich mir nicht für mich. Beim Anziehen blicke ich in den Spiegel. Manchmal entdecke ich darin eine hübsche junge Frau mit einer sportlichen Figur, einem mädchenhaften Gesicht und wachen, freundlich blickenden Augen. Manchmal könnte ich aber auch einfach nur in mein Spiegelbild kotzen. So ein Tag ist heute.
    Aufs Frühstück verzichte ich mal wieder, mein Körper hat keinen Hunger. Stattdessen räume ich ein wenig meine kleine Wohnung auf und breche anschließend zu Andreas Rabe auf, dem Anwalt, den mir der Weiße Ring empfohlen hat. Ich bin aufgeregt, ihn zu treffen. Dabei weiß ich doch, dass er mir einfach nur helfen soll. Er ist auf meiner Seite, rein rechtlich gesehen.
    Seine Kanzlei liegt in einem Hinterhaus in der Innenstadt. »Strafrecht« steht auf dem Türschild. Heißt das, Herr Rabe verteidigt sonst die Bösen? Na, super! Obwohl ich mit dem Fahrstuhl fahren könnte, entscheide ich mich fürs Treppensteigen. Zeit schinden. In Bewegung bleiben. Jederzeit umdrehen können.
    Durch eine schwere, verschnörkelte Tür betrete ich unsicher die Kanzlei. Eine biedere Sekretärin bittet mich, kurz auf den Herrn Rechtsanwalt zu warten. Aber noch bevor ich mir im Wartebereich eine Zeitschrift aussuchen kann, steht er plötzlich hinter mir: »Rabe. Lassen Sie uns in mein Büro gehen.« Dabei hält er mir steif seine blasse Hand entgegen und streift nur kurz meinen Blick. Genau so habe ich ihn mir vorgestellt – unsicher, fast verklemmt, nicht gerade der Beschützertyp.
    Sein Büro passt zu ihm; es ist aufgeräumt und ungemütlich. Nichts Persönliches. Nur Akten, Ordner und Bücher. Als Herr Rabe auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz nimmt und das Gespräch beginnt, habe ich das Gefühl, noch weniger sagen zu können als bei der Polizei. Kommissar Krause ist wenigstens ein netter, lockerer Typ. Bei Herrn Rabe bekomme ich keinen Mucks raus, während der ganzen halben Stunde, die wir uns gegenübersitzen und er mir unbeholfen versucht, irgendwelche Fragen zu stellen.
    Irgendwann, als er nicht mehr weiterweiß, schlägt er vor, zur Polizei zu fahren. Dass er mich dorthin begleitet, hatten wir am Telefon vereinbart. Jetzt frage ich mich, ob das eine gute Idee war, aber es lässt sich wohl kaum mehr ändern – beziehungsweise würde ich mich nicht trauen, ihm nun noch abzusagen. Kriminalkommissar Krause

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