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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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auch keinen interessiert.« Erst nach einer kurzen Pause gebe ich mir einen Ruck: »Beim Escort-Service konnte ich immerhin selbst entscheiden, wann ich mit irgendwelchen ekligen, alten Typen ins Bett geh. Ist doch toll, oder nicht?« Ich höre, wie patzig ich klinge, und fühle mich mir selbst fremd. So bin ich gar nicht. So will ich gar nicht sein, vor allem nicht zu Menschen, die nett zu mir sind. Deshalb sage ich nun gar nichts mehr. Ich fühle mich schlecht, weil ich den armen Herrn Krause so anpampe. Aber der Polizeibeamte scheint weder abgeschreckt noch empört oder sonst etwas zu sein. Geduldig hakt er nach.
    Krause: »Und bevor Sie beim Escort-Service gearbeitet haben, hatten Sie da das Gefühl, Sie konnten sich nicht entscheiden?«
    Ich: »Ja, und wie vorher? Vorher halt scheinbar nicht. Oder meinen Sie, mein Stiefvater hat mich danach gefragt, wann es mir passt, vergewaltigt zu werden? Ach klar, bestimmt.«
    Krause: »Also hat er Sie doch missbraucht?«
    Ich: »Ja, anscheinend schon. Oder meinen Sie, ich hab das freiwillig gemacht? Oder gewollt?«
    Krause: »Wusste da jemand von?«
    Ich: Schweigen
    Krause:»War das eine einmalige Tat?«
    Ich: Kopfschütteln.
    Krause: »Brauchen Sie doch kurz eine Pause?«
    Ich: Kopfnicken.
    Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 21. Juni 2011, 15:41 Uhr
    Etwa 20 Minuten lang sitze ich im Flur und starre vor mich hin. Ich bin so schlapp, als wäre ich gerade einen Marathon im Hochsommer gerannt. Nie hätte ich gedacht, dass Reden mich körperlich so anstrengen könnte. Mein ganzer Körper ist müde – von diesen Bildern im Kopf und den Wörtern, die diese Bilder beschreiben sollen. Am liebsten würde ich dafür ganz neue, hässliche Worte erfinden, die ich nach dieser Verhandlung nie wieder hören oder sagen muss.
    Neben mir schnauft mein Anwalt. Den hatte ich fast vergessen. Es ist so ein Schnaufen, wenn man nicht weiß, was man sagen soll, und irgendwie zeigen möchte, dass man da ist. So ein ganz tiefes Einatmen.
    Er scheint noch überforderter zu sein als ich. Ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass er schon oft missbrauchte Mädchen betreut hat. Dazu wirkt er zu unsicher, zu betroffen. Als ich zu ihm blicke, fällt mir auf, dass er echt geschafft aussieht nach dem Verhör. Er versucht, mir aufmunternd zuzunicken. Aber das ist so armselig, dass ich schnell wieder wegschaue.
    In diesem Moment kommt Martin Krause um die Ecke.
    Krause: »Fällt es Ihnen vielleicht leichter, wenn ich ›du‹ sage?«
    Ich: Kopfnicken
    Krause: »Also gut. Ich sehe, du hast dich wieder etwas gefangen. Können wir weitermachen?«
    Ich: Kopfnicken.
    Krause: »Du hast eben doch gesagt, dass dein Stiefvater dich missbraucht hat. Kannst du erzählen, ob es einmal vorgekommen ist oder häufiger?«
    Ich: »Häufiger.«
    Krause: »Und war das auch der Grund für deinen frühen Auszug?«
    Ich: Kopfnicken.
    Krause:»Mir fällt es auch nicht leicht, diese Fragen zu stellen. Aber kannst du dich erinnern, wann das erste Mal etwas vorgefallen ist?«
    Ich: »Einen Tag nach meinem 13. Geburtstag.«
    Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 21. Juni 2011, 16:07 Uhr
    Sofort wandern meine Gedanken zu dem Tag, an dem mein Stiefvater mich zum ersten Mal anfasste. Ich erinnere mich an alles. Es war mitten in der Vorweihnachtszeit. Ich hatte aus irgendeinem besonderen Grund schulfrei. Mein Stiefvater sollte als Fernfahrer irgendetwas nach Bayern liefern, eine kurze Zweitagestour. »Das ist doch perfekt! Dann kannst du mal mitkommen und sehen, was ich arbeite«, begeisterte er sich. Dabei glaubte ich, etwas Höhnisches, etwas Böses in seinem Blick zu erkennen. Meine Mutter freute sich, weil er sich ausnahmsweise so väterlich-freundlich um mich bemühte.
    Eigentlich wollte ich auf keinen Fall mit ihm verreisen – selbst wenn es nur zwei Tage dauern sollte. Eine grauenhafte Vorstellung! Noch dazu fragte ich mich, was das sollte: An einem Tag schlägt er mich grün und blau und dann will er mit mir wegfahren. Zumal ich doch jede Minute genoss, die ich ihn los war. Aber weil beide mich so erwartungsvoll anlachten, traute ich mich nicht, Nein zu sagen. Mein Stiefvater wirkte richtig zufrieden: »Das wird sicher nett. Dann können wir uns ein bisschen unterhalten und besser kennenlernen«, sagte er. Ich nickte bloß.
    Schon wenn ich daran denke, könnte ich mich übergeben. Warum habe ich damals nicht auf mein Gefühl gehört? Ich habe keine Ahnung, warum ich mitgefahren bin, schließlich wollte ich es doch nicht! Und

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