Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
jedenfalls reagiert ganz selbstverständlich auf meinen Anwalt, der scheint das zu kennen …
Krause: »Ich würde gerne an dem Punkt weitermachen, wo wir letztes Mal aufgehört haben. Geht es Ihnen wieder etwas besser und fühlen Sie sich dazu in der Lage?«
Ich: »Ja.«
Krause: »Das ist gut. Ich habe mir unser letztes Gespräch noch mehrmals angeschaut und mir sind dabei natürlich noch Millionen von Fragen entstanden … Wenn ich mich wiederhole und Sachen ein weiteres Mal frage, hat das nichts damit zu tun, dass ich die Dinge anzweifele oder Ihnen nicht glaube. Und auch muss ich noch mehr in die Details gehen. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich es nicht tue, um Ihnen zu schaden. Ganz im Gegenteil. Möchte Ihnen wirklich gerne helfen und es muss ja auch irgendwie anders werden. Also lassen wir es uns versuchen, und wenn Sie eine Pause brauchen, sagen Sie es bitte. Das ist alles kein Problem. In Ordnung?«
Ich: »Ja.«
Krause: »Gut. Und noch was. Ich würde mich freuen, wenn Sie heute versuchen, etwas mehr von sich aus zu erzählen. Ich weiß und sehe natürlich, wie schwer es Ihnen fällt. Aber für mich ist es auch unangenehm, wenn ich das Gefühl habe, ich muss Ihnen jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.«
Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 21. Juni 2011, 14:00 Uhr
Ich versuche ja, kooperativ zu sein. Aber mein Körper will das nicht. Er kann nicht. Da sitze ich nun wieder. In dem kleinen Vernehmungszimmer mit Kriminalkommissar Krause und meinem Anwalt. Der wirkt sehr angespannt und aufgeregt und ich habe beinahe Angst, ihn zu überfordern. Beschützt fühle ich mich jedenfalls nicht. Kommissar Krause gibt mir zwar ein besseres Gefühl. Aber mein Freund ist er auch nicht! Schon alleine, wenn ich bedenke, dass er auch meinen Stiefvater irgendwann vernehmen wird und ihm möglichst unvoreingenommen begegnen wird. Die Kripo muss ja neutral ermitteln – bla, bla … Es fühlt sich wie ein Verrat an, dass er so viel über mich wissen will und dann noch mit dem Feind redet.
Ich sitze also da und sehe Herrn Krause direkt an. Doch sobald er die erste Frage stellt, fällt mein inneres Aufbäumen einfach um und lässt mich mit der Panik allein.
Krause: »Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Stiefvater?«
Ich: »Gut.«
Krause: »In Ordnung, Anna. Dann eben noch direkter. Hat er Ihnen jemals was angetan?«
Ich: Schweigen
Krause: »Anna, es steht der Verdacht aus, dass Ihr Stiefvater Sie sexuell missbraucht hat. Stimmt das?«
Ich: Schweigen
Krause: »Wir haben jetzt schon länger über Sie und Ihre Jugend oder Kindheit gesprochen. Und auch wenn Sie sagen, dass alles gut sei, so ganz kann das ja nicht angehen. Oder ich frage mal so, warum sind Sie denn so früh von zu Hause ausgezogen?«
Ich: »Wieso denn nicht?«
Krause:»Na, normalerweise ist es doch praktischer, möglichst lange im Elternhaus zu wohnen. Ist vorher irgendwas vorgefallen, was Sie zu dem Entschluss bewogen hat?«
Ich: »Ja, verdammt! Es war halt scheiße zu Hause. Aber ich will da nicht drüber reden. Lassen Sie mich doch einfach in Ruhe. Es ändert doch ohnehin alles nichts mehr.«
Krause: »Was ändert nichts mehr …? Ihr Chef hat Sie doch nicht ohne Grund angesprochen und sich Sorgen um Sie gemacht. Klar, er hat auch gesagt, dass Sie bei der Arbeit gut und zuverlässig sind. Aber eben auch, dass man deutlich merkt, dass es Ihnen nicht gut geht. Wie oft essen Sie was Ordentliches? Oder die Verletzungen. Wo kommen die mitunter her? Auch jetzt, Ihnen laufen Tränen übers Gesicht, die Sie mit aller Macht zu verstecken oder verdrängen versuchen. Sie zucken zusammen, wenn ich mich ruckartig oder schnell bewege. Ihre Hände mehr als nur verkrampft. Meinen Sie wirklich, ich sehe das nicht? Sie können ruhig weinen. Oder heulen oder schreien. Was auch immer. Aber erzählen Sie es bitte.«
Ich: »Ich kann es nicht.«
Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 21. Juni 2011, 14:21 Uhr
Doch diesmal lässt er nicht locker. Er versucht, im Plauderton auf das Thema »Stiefvater« zu kommen, dann spricht er es ganz direkt an, schließlich versucht er es noch einmal über den »Umweg« Escort-Service. Aber ich schweige. Der verhörende Beamte fühlt sich plötzlich wie ein Feind an, wie jemand, der mir Böses will. Mit dem rede ich nicht! Irgendwann bin ich einfach nur noch fertig und genervt: »Meine Güte. Ich weiß gar nicht, warum Sie das alles wissen wollen. Das kann Ihnen doch völlig egal sein. Es ist vorbei. Damals hat es
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