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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Belastungsreaktion, beginnende Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu Selbstverletzungen infolge massiver Traumatisierungen auf Borderline-Niveau, Essstörung …«
    Auszug aus dem psychologischem Gutachten
    Das bin also ich. So werde ich wahrgenommen. Das klingt ziemlich kaputt, finde ich.
    Ich senke meinen Kopf und blicke auf meine Hände. Ich mag Herrn Rabe jetzt nicht ansehen. Jedes Wort, das ich gelesen habe, war wie ein Stich ins Herz. Es tut wahnsinnig weh, das zu lesen. Es soll bitte so nicht sein! Mein Stiefvater soll mich nicht kaputt oder krank gemacht haben! So viel Macht darf er nicht haben!
    »Geht's?«, fragt plötzlich Herr Rabe. Ich nicke, den Blick weiterhin nach unten gerichtet.
    So steif er ist, so unbeholfen, so wenig kämpferisch – juristisch scheint er den richtigen Weg einzuschlagen. In diesem Bereich wirkt er sehr klar und unbeugsam. Dank seiner Professionalität kann ich mich wieder ein wenig sammeln. Herr Rabe ist wie ein Geschäftspartner – so sollte ich ihn sehen. Wir machen hier Geschäfte und meine Seele, meine Gefühle, meinen Kummer sollte ich für mich behalten. Hier geht's um Fakten und Zahlen, die Paragrafen. So schnell ich kann, verabschiede ich mich. Ich will nur raus zu meinen Pferden, endlich wieder Mensch sein. Ich habe genug von diesem ganzen Scheißprozess!
    Aber wenn die Lawine erst mal ins Rollen gebracht ist, gibt es kaum mehr eine Verschnaufpause. Ständig gibt es neue Vernehmungen, Briefe, Termine beim Anwalt. Ins Forum schreibe ich:
    »Sorry, dass ich mich länger nicht gemeldet habe. Hatte diese Woche noch eine weitere Vernehmung und es war für mich nicht so angenehm. Musste auch abgebrochen werden.: (Und danach folgte irgendwie ein kleiner Zusammenbruch. Entschuldigt!
    Jetzt geht es aber wieder.
    Wurde nach diesem Scheißtermin zum Hausarzt geschickt. Die wollten mich am liebsten in eine psychiatrische Notfallambulanz stecken. Nett, dass sie ständig über mich entscheiden wollen … Na ja, auf jeden Fall war ich dann bei meinem Hausarzt, was ja auch schon peinlich genug ist. Der hat mir erst mal Tabletten verschrieben, davon bin ich gar nicht so begeistert.
    Er will helfen, ist aber, glaub ich, auch etwas überfordert. Und im Prinzip ist ja auch alles wieder in Ordnung. Muss damit irgendwie klarkommen und es muss ja gehen.
    Oh Gott – sorry für dieses Rumgejammere hier. Das ist ja schlimm …«
    Eintrag in ein Missbrauchs-Forum, 4. November 2011, 22:25 Uhr
    Es tut gut, Menschen zu schreiben, die diese Gefühle kennen. Ich brauche gar keine Antworten. Mir reicht es, dass ich weiß, dass ich verstanden werde. Das ist natürlich ziemlich verrückt, wenn man sich das überlegt. Ich lasse wildfremde Menschen an meinem Leben teilhaben und es fühlt sich viel besser an, als es mit Freunden zu bereden. Aber wahrscheinlich ist meine Geschichte zu extrem, um von »normalen« Menschen verstanden zu werden. Ich bin sehr dankbar für meine virtuelle Foren-Welt. Schon am nächsten Tag schreibe ich weiter.
    »Die Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft rückt näher. Ich weiß nicht, ob ich dahin kann oder will. Mir ist so verdammt schlecht, wenn ich nur daran denke. Mein Anwalt (den ich noch immer für überfordert halte) meint, es gebe die Möglichkeit, sich vom Arzt ein Attest ausstellen zu lassen, dass man vernehmungsunfähig ist. Aber im Grunde ändert das ja überhaupt nichts dann an der Situation und von alleine wird sich ja kaum was tun.
    Wahrscheinlich hilft es nichts – Augen zu und durch … Diese Scheißfragen, bei denen man sich selber am schuldigsten vorkommt …«
    Eintrag in ein Missbrauchs-Forum, 5. November 2011, 13:11 Uhr
    Als es an der Tür klingelt, zucke ich zusammen. Da fällt mir ein, dass Kerry mich abholen wollte, weil wir zu einem Fußballspiel vom FC Köln gehen wollen. Sie hat von irgendwem zwei Karten bekommen und meinte, das würde sicher lustig werden. Schaun wir mal. Schnell klappe ich den Laptop zu und beeile mich, in Jacke und Schuhe zu schlüpfen. Sportlich, so kleide ich mich am liebsten.
    Kerry wartet im Auto auf mich. Schon beim Einsteigen fällt mir ihr musternder Blick auf. Und wir sind kaum auf der Autobahn in Richtung Köln, da fängt sie auch schon wieder an: »Anna, ich merke doch, dass es dir nicht gut geht. Ich mache mir Sorgen.« Ich blicke aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Bäume. Kerry drängelt weiter: »Du weißt doch, dass du über alles mit mir reden kannst und dass ich immer für dich da bin. Ich möchte dir doch

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