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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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schaut beiläufig auf eine kleine Uhr, die hinter mir hängt, und stellt fest: »Es tut mir sehr leid, aber unsere Zeit ist um.« Dann steht sie auf und bringt mich zur Tür. Mir ist hundeelend zumute. Und das soll helfen? Das wühlt mich doch nur noch mehr auf!
    Gut, heute war unsere erste Stunde. Und natürlich muss sie erst mal die Situation erfassen. Aber ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass ich wiederkommen werde. Ich mag Frau Mitwitz nicht, mir geht es nach unserem Termin noch schrecklicher als zuvor und ich glaube nicht, dass mir Reden überhaupt helfen kann. Noch ehe ich die oberste Treppenstufe erreicht habe, festigt sich mein Entschluss: Das mache ich nicht noch einmal! Ganz egal, was Frau Schmitz vom Weißen Ring dazu sagt.
    Und plötzlich – mit jedem Schritt in Richtung Ausgang – steigt in mir die Wut über diese lästige Anzeige hoch: Ständig werde ich mit Fragen bombardiert – wie im Kreuzverhör. Ich fühle mich nur noch schuldig und unfähig. »Warum haben Sie dieses oder jenes gemacht?«, »Wieso haben Sie sich nicht gewehrt?«, »Wie lange hat das gedauert?«, »Hätten Sie nicht irgendwas tun können?«, »Haben Sie Gefallen daran gehabt?«, »Wieso hatten Sie denn Angst?« … Klar verstehe ich, dass die Leute begreifen wollen, was passiert ist. Und die Kripo muss natürlich neutral ermitteln. Schließlich könnte es sein, dass ich meinem Stiefvater nur eins auswischen will – solche Fälle gibt es wohl tatsächlich.
    Aber es ist nicht unbedingt vertrauensfördernd, wenn man ständig diese Fragen beantworten muss. Und was ich zusätzlich noch beängstigend finde, ist, dass ich nichts darüber erfahre, wie die Polizisten ermitteln, auf welchem Stand sie sind oder was sie planen. Dadurch lebe ich in dauernder Angst, weil ich einfach nicht weiß, inwiefern Kontakt zu meinem Stiefvater hergestellt wurde oder wird. Denn: Mein Stiefvater weiß ja, wo ich wohne! Und der findet es sicher nicht lustig, wenn er hört, was ich so über ihn erzähle. Offenbare ich meinem Anwalt oder der Polizei oder dieser Psychologen-Tante meine Ängste, bekomme ich zu hören: »Wenn was ist, müssen Sie die 110 wählen.« Toller Vorschlag. Aber ob es mir noch helfen würde, wenn wirklich etwas ist? Schließlich warten die Polizisten ja nicht im Nachbarhaus auf meinen Anruf. Mal ganz abgesehen davon, dass ich im Notfall wahrscheinlich gar nicht in der Lage wäre, nach dem Telefon zu greifen …
    Eine weitere Sorge ist, dass mir inzwischen auch die Frau vom Weißen Ring und mein Anwalt bestätigt haben, was ich im Forum gelesen habe: Häufig werden die Verfahren eingestellt, weil es entweder nicht genügend Beweise gibt, die Aussagen als zu labil eingestuft wurden oder weil die Betroffenen irgendwann keine Kraft mehr haben. Das macht mir nicht gerade Mut. Und falls ich bislang noch Hoffnungen auf das Wunder »Psychotherapie« gesetzt hatte – also solange man es nicht ausprobiert, besteht ja zumindest eine vage Hoffnung –, dann ist die nun auch gestorben. Diese Frau kann mir bestimmt nicht helfen. Tolle Sache, zu der ich mich da habe drängen lassen!
    Eigentlich habe ich schon genug von diesem blöden Tag! Aber als ich wenig später frustriert zu Hause ankomme, finde ich obendrein auch noch einen Brief von der Staatsanwaltschaft im Briefkasten. Was wollen die denn? Hektisch reiße ich das Kuvert auf. Da steht ein Termin – Datum und Uhrzeit: 21. November 2011, 10 Uhr. Die wollen mit mir sprechen. Wieso denn das? Sofort krame ich mein Handy aus der Jackentasche und rufe hektisch meinen Anwalt an. Glücklicherweise ist er gerade nicht in einer Besprechung oder bei Gericht. »Ich soll zur Staatsanwaltschaft zur Befragung«, jammere ich in den Hörer.
    Herr Rabe versucht, mich zu beruhigen: »Das ist ganz normal!«
    Aber ich verstehe das nicht. »Die können sich doch die Vernehmungen von der Polizei besorgen!«
    »Die Polizei-Vernehmungen haben die sich bestimmt auch schon angeschaut. Aber manchmal möchten sie sich gerne selbst ein Bild machen.«
    Ich bin verzweifelt, denn das bedeutet, ich soll schon wieder von vorne beginnen! Alles noch einmal erzählen! Bitte nicht! »Aber ich kann nicht!«, stammele ich es nun noch leiser.
    »Das kann ich Ihnen leider nicht ersparen, aber ich glaube, das ist für die Verhandlung sehr gut«, redet er mir Mut zu und ich höre in seiner Stimme ehrliches Mitgefühl. Und dann sein tiefes Schnaufen und ich ahne schon, dass er sich gerade strafft, um mir eine weitere Horrornachricht

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