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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
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Deshalb laufe ich immer weiter, bis zum hinteren Parkplatz und zur Bushaltestelle. Wenn ich bis zur Endstation und wieder zurückfahre, ist die Mittagspause vorbei. Aber bevor ich den Parkplatz erreiche, sehe ich MrHammer, der Pausenaufsicht hat, am Rand des Schulgeländes entlangpatrouillieren. Schnell biege ich nach links ab in Richtung Baseballplatz. Und da sehe ich Melanie.
    Sie sitzt mit ein paar anderen auf der Tribüne, genau wie sie gesagt hat. Früher wäre ich nie zu Leuten gegangen, die ich kaum kenne. Das ist nicht mein Ding. Aber sie haben mich schon gesehen, und es würde einen total bescheuerten Eindruck machen, wenn ich jetzt wieder umkehren würde. Ich will durch das Loch im Zaun klettern, und mein Rucksack bleibt an einem Draht hängen. Ich muss den einen Schulterriemen abnehmen, um freizukommen.
    »Wer ist das?«, höre ich einen der Typen fragen.
    Dann Melanie: »Das ist Caitlin.«
    »Caitlin Madison?«
    »Ja.«
    »Oh«
, sagt der Junge.
    Mein Gesicht glüht. Ich nehme den Rucksack ab und widerstehe dem Drang, gleich wieder abzuhauen. Stattdessen drehe ich mich um und steige die Tribüne hoch.
    »Das war knapp«, höre ich mich sagen. Meine Stimme klingt fremd, aber gar nicht so schlecht. Fünf misstrauische Gesichter wenden sich mir zu. Ich rede weiter: »Hammer hat mich fast beim Abhauen erwischt.«
    Sie schweigen.
    Ich stelle meinen Rucksack neben einem Mädchen in einem total verschlissenen Metallica-Shirt ab, das garantiert zehn Jahre alt ist.
    »Ich bleib ein paar Minuten hier. Ich habe grad echt keinen Bock drauf, ihm in die Arme zu laufen«, sage ich so selbstsicher, dass ich eine Sekunde lang auch selbstsicher bin.
    Dann setze ich mich, und niemand sagt was. Das Metallica-Mädchen knabbert an einem Fingernagel. Der Typ, der sich eben nach mir erkundigt hat, flicht sein fettiges Haar zu einem Zopf. Ich sehe kurz zu Melanie – sie wühlt hektisch in ihrem Rucksack rum. Zwei Typen machen mit ihrem Kartenspiel weiter.
    »Scheiße«, sagt Melanie. »Caitlin, hast
du
eine Zigarette?«
    Wahrscheinlich hat sie alle anderen bereits gefragt. Ich bin ihre letzte Hoffnung.
    »Leider nicht«, sage ich.
    Aus irgendeinem Grund bricht das das Eis.
    »Äh, warst du nicht die beste Freundin von Ingrid Bauer?«, fragt Metallica-Mädchen.
    »Ja.«
    Der Fettkopf fragt: »Hast du gewusst, dass sie das tun wird?«
    Er sagt das, als wäre es eine total normale Frage, als wäre es ganz in Ordnung, unbekannte Menschen nach dem Allerschlimmsten auszuhorchen, was ihnen jemals passiert ist. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, deshalb antworte ich ihm einfach.
    »Nein.«
    »Wie furchtbar …«, sagt das Metallica-Mädchen.
    Der Typ lässt nicht locker: »Ich hab gehört, sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, stimmt’s? Das ist geil. Schon was anderes, als sich mit ’ner Knarre oder Kohlenmonoxid umzubringen oder so. Um so tief zu schneiden, braucht man ganz schön viel Mut, finde ich.«
    Ich öffne den Mund, aber es kommt nichts raus.
    Ohne den Blick von seinem Blatt abzuwenden, sagt einer der Kartenspieler: »Der Freund von meiner Cousine ist von der Golden Gate Bridge gesprungen, das ist ziemlich krank, oder? Aber ich finde, es ist leichter, als sich die Pulsadern aufzuschneiden. Man muss bis runter unter die Sehne schneiden, wisst ihr. Die meisten Leute kriegen das nicht hin oder werden dabei ohnmächtig.«
    »Wie kommt’s, dass du so ein Fachmann bist?«, zischt das Metallica-Mädchen.
    »Ich hatte das auch mal ernsthaft vor«, sagt der Junge und schiebt seine Brille höher. »In der achten Klasse. Ich hab vorher ein bisschen recherchiert.«
    »Du beschissener Versager«, sagt der andere Kartenspieler. »Du verkackter, beschissener Versager. Niemand
recherchiert
so was.«
    Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer diese Leute sind. Ich sehe Melanie an. Jetzt durchwühlt sie den Rucksack von Fettkopf.
    »Lass das«, mault der.
    Das Baseballfeld liegt vor uns – perfekt gemähter Rasen, ordentliche braune Erdhügel an den Grundlinien. Ich stelle mir vor, wie ich zur Platzmitte laufe und zusammenbreche. Ich sehe die Szene im Zeitraffer vor mir wie in einem Film, wo man einer Pflanze dabei zusehen kann, wie sie durch die Erde stößt, wächst, blüht und verwelkt. Aber hier funktioniert es andersrum. Ich schlafe auf dem Platz ein, der blaue Himmel wird grau, dann lila, dann schwarz. Die Sonne geht auf. Ein Jahr läuft rückwärts. Ich bewege mich ein bisschen. Ich habe andere Sachen an, die vom letzten

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