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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
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Brettern – meine erste Sprosse. Ich schaue hoch zu den Ästen und stelle mir vor, wie es sein wird, wenn ich in dem fertigen Baumhaus sitze und zuschaue, wie der Himmel schwarz wird.
    Dad ruft mich.
    Ich lege den Hammer zurück in die Werkzeugkiste und klappe den Metalldeckel zu. Meine Armmuskeln schmerzen von dem Heben und Hämmern, aber ich bin zufrieden, als hätte ich wirklich was geschafft. Ich steige den Hügel hoch zum Haus und frage mich plötzlich, was Dylan grade macht.

7
    Ms Delani hat heute ein Kleid an. Es ist schwarz, ärmellos, mit einem sich bauschenden weiten Rock. Um den Hals hat sie einen roten Schal gebunden, und als sie die Arbeiten zurückgibt und an mir vorbeigeht, weht der Schal hinter ihr her. Ich möchte danach fassen und fest daran zerren.
    Dann bleibt sie vor mir stehen und legt ein scheußliches, überbelichtetes Foto von nackter Erde auf meinen Tisch. Meine Landschaft. Ich drehe es um. Mit dickem roten Stift hat sie geschrieben: ungenügend. Und darunter:
Wir müssen reden.
    Als sie wieder vorn steht, sagt sie: »Eure nächste Aufgabe ist ein Selbstporträt. Baut auf das auf, was ihr im letzten Jahr gelernt habt. Und, bitte – ich wünsche mir Tiefe, eine Aussage.«
    Es klingelt, und ich rutsche zur Stuhlkante. Ich will nicht mit ihr reden.
    Ich versuche, mich zwischen den anderen durch die Tür zu drücken, aber Ms Delani hat mich gesehen.
    »Caitlin.«
    Ich schlurfe zu ihrem Pult.
    »Ja?«
    Sie greift nach dem Foto in meiner Hand.
    »Caitlin.« Sie schüttelt den Kopf. »Was
soll
das?«
    Ich sehe sie so eisig an, wie ich kann. »Sie haben mir nicht gesagt, woran ich arbeiten soll. Ich habe Sie gefragt, aber Sie haben mich ignoriert.«
    Sie seufzt. »Als Erstes ein fahrendes Auto als Stillleben. Jetzt ein leeres Grundstück als Landschaft. Was soll denn das?«
    Ich sehe sie nicht mehr an, sondern betrachte die Wände. Schließlich finde ich zwischen all den Fotos eins von mir. »Nein, kann ich nicht. Ingrid war begabt, ich war immer eine Niete, erinnern Sie sich?«
    Ich grabsche mir meine Landschaft, zerknülle sie in meiner Faust und schiebe sie in meinen Rucksack.
    Ms Delani nimmt die Brille ab und reibt sich den Nasenrücken, als hätte ich ihr Kopfschmerzen verursacht. Sie beugt sich über das Pult und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Ich stehe betreten da und warte darauf, dass sie hochsieht und vorschlägt, ich solle den Kurs verlassen, oder mir sagt, ich solle nicht ihre Zeit verschwenden, oder dass sie mich wieder zur Therapeutin schickt.
    Ich warte und warte.
    Der nächste Kurs kommt rein. Es klingelt zur zweiten Stunde.
    »Ähm.« Ich verlagere mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Ich muss los.«
    Sie antwortet immer noch nicht.
    Dann richtet sie sich auf, und mein Herzschlag setzt aus. Ms Delanis Lippen zittern, ihre Wangen sind gerötet. Sie schließt die Augen, Tränen laufen ihr über die Wangen. Doch sie schweigt. Die Schüler sind still, schauen betreten auf ihre Tische, weil sie uns nicht ansehen wollen. Sie nimmt ein Blatt Papier und schreibt etwas. Sie gibt mir den Zettel und geht nach hinten in ihr Büro.
    Da steht:
Bitte entschuldigen Sie die Verspätung von Caitlin in der zweiten Stunde – V. Delani.

8
    »Okay!« Taylor stopft seine Sachen in den Rucksack. »Ich geh rüber zu Henry und warte da auf Jayson. Wir wollen zu diesem coolen äthiopischen Restaurant in Berkeley fahren. Willst du mitkommen?«
    Wir haben nach dem Unterricht in der Bibliothek unsere Notizen zu Jacques DeSoir verglichen. Wir wollen unsere Präsentation damit beginnen, wie und warum wir ihn uns ausgesucht haben. Außerdem werden wir eine Karte von Europa kaufen und die Orte markieren, an denen er gewesen ist.
    Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, mit zu Henry zu gehen, aber ich möchte auch nicht allein nach Hause gehen, wenn ich mit Taylor zusammen sein kann. Deshalb sage ich: »Klar.«
    Henry weiß wahrscheinlich nicht mal, dass ich existiere, obwohl er in meinem Englischkurs ist, und ich weiß, wo er wohnt. Ich weiß, dass er in einem dreistöckigen Haus wohnt und dass seine Eltern nie zu Hause sind. Ich weiß das, weil er fast jeden Freitagabend eine Party schmeißt und weil Ingrid und ich ein paar Mal hingehen wollten, aber immer nur bis zum Vorgarten gekommen sind. Wenn wir dann die Silhouetten der Leute drinnen gesehen und ihr Geplapper und Gelächter gehört haben, sind wir immer umgekehrt. Wir stellten uns vor, wie die uns anschauen und sich fragen

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