Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
Vom Netzwerk:
dann hat er an einem der Zöpfchen an der Mütze gezogen, und ich kriegte ganz weiche Knie. Er lächelte und zeigte seine unglaublich weißen und ebenmäßigen Zähne. Als es klingelte, stellte er sich vor mich hin, legte die Hand auf meinen Kopf und sagte: »Bis morgen.« Ich habe es Caitlin erzählt und versucht, die Geschichte bis zur allerletzten Einzelheit auszuschmücken, damit sich der Augenblick dehnte, damit er möglichst lange andauerte. Sie grinste und sagte: »Er ist total in dich verknallt«, und ich wollte alles noch mal erzählen, von Anfang an.
    Wenn wir in das Kino einbrechen, werde ich mich auf den Boden legen und der Decke alles erzählen, was ich über Jayson weiß. Ich werde die Decke um Rat fragen und endlos lange nach oben starren und auf Antworten warten.
     
    In Liebe
    Ingrid
    Als ich zu Ende gelesen habe, zittere ich am ganzen Körper. Alles verschwimmt vor meinen Augen. Ich vergrabe meinen Kopf im Kissen und versuche meine Bettdecke zu zerreißen, aber nichts passiert.
    Ich denke daran, wo sie jetzt ist, in einem Sarg in der Erde von einem Friedhof. Ich war nur einmal da und werde nie mehr dort hingehen. Für sie ist es so leicht, überhaupt nichts mehr zu fühlen, einfach verschwunden zu sein, so kann sie nicht mehr sehen, was sie mir angetan hat. Sie konnte einfach verschwinden, und mir ist, als müsste ich gleich in Flammen aufgehen. Ich stopfe mir den Zipfel der Decke in den Mund, bis nichts mehr reingeht, und dann schreie ich und schreie, und keiner kann mich hören. Und ich frage mich, was so schlimm war, dass sie nichts dagegen tun konnte. Was so schrecklich war, dass sie es für unüberwindbar hielt. Als ich kaum noch Luft kriege, ziehe ich den Deckenzipfel wieder raus und sehe, dass meine Zähne nur winzige, fast unsichtbare Spuren in der Baumwolle hinterlassen haben. Ich kann sie kaum erkennen.

10
    Es wird schon dunkel, als ich später am Abend aufwache. Ingrids Tagebuch ist noch bei der Eintragung aufgeschlagen, die ich zuletzt gelesen habe. Ich höre meine Eltern unten in der Küche. Ich muss mein Zimmer aufräumen – Taylor kommt bald –, aber ich bin hungrig.
    »Na, wie schön, unser Dornröschen ist aufgewacht«, sagt Dad, als ich in die Küche komme.
    »Hey«, sage ich leise.
    Mom kommt und will mich in die Arme nehmen, aber ich wende mich ab, und sie geht wieder an den Herd. Ich weiß, das ist gemein von mir, aber ich habe Angst, dass ich in tausend Scherben zerspringe, wenn ich zulasse, dass sie mich anfasst.
    »Wie war’s in der Schule?«, fragt Dad.
    »Gut«, sage ich.
    Ich durchforste die seltsamen Öko-Vorräte, die meine Eltern so gern essen: getrocknete Apfelringe, Nüsse, Dinkelkekse.
    »Tja. Mein Tag war auch gut, danke der Nachfrage. Und jetzt wollen wir wissen, wie der Tag von deiner Mutter war. Margaret!«
    »Ganz nett, Schatz«, antwortet sie ihm, und es ist eine richtige Antwort und keine Lektion in guten Manieren.
    Ich finde eine Tüte Salzbrezeln, reiße sie auf, stecke eine in den Mund und schmecke das Salz. Meine Mutter wirft mir einen Blick zu. »Süße, hast du geweint?«
    Ich starre auf den Topf, in dem sie rührt, und zucke die Schultern.
    »Taylor kommt gleich rüber, wir wollen an unserem Mathe-Projekt arbeiten.«
    »Kann er denn nicht nach dem Essen kommen?«, fragt Dad.
    »Es ist wichtig.«
    »Na ja, er könnte bei uns mitessen.«
    »Äh, danke nein.«
    »Warum hast du geweint?«, fragt Mom. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ich hatte einen schlechten Tag. Ist das verboten?« Es kommt etwas schroffer raus als beabsichtigt. Ich gehe mit den Brezeln zurück in mein Zimmer. Im Rausgehen nehme ich mir noch ein Wassereis aus dem Tiefkühlschrank.
     
    Um Viertel nach acht klingelt es an der Tür, und ich renne an meinen Eltern vorbei, um Taylor reinzulassen. Sie sitzen am Tisch und essen etwas, das echt lecker duftet.
    Taylor kommt rein. Er schaut sich verlegen um.
    »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht beim Essen stören«, sagt er.
    Er trägt seinen Rucksack und sein Skateboard, aber man sieht deutlich, dass er sich Mühe gegeben hat. Er riecht nach Shampoo.
    »Wir essen Penne und Rote-Bete-Salat«, sagt Mom. »Möchtest du mitessen?«
    »Danke, aber ich hab schon gegessen.« Taylor zieht die Jacke aus.
    »Wir können hochgehen«, sage ich.
    »Okay, super. Ich hab die Landkarte mitgebracht und ein paar Pinnnadeln.«
    Als wir hochgehen, ruft Dad: »Du hast ein hübsches T-Shirt an, Taylor.«
    Es ist ein ganz unauffälliges grünes T-Shirt.
    Taylor

Weitere Kostenlose Bücher