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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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viel Zeit für eine Hausaufgabe aufgewendet.
    Nach der Stunde fragt Taylor: »Wollen wir uns nachher treffen?«
    Obwohl die Vorstellung, mit Taylor einfach irgendwo abzuhängen, verlockend klingt, sage ich: »Eigentlich muss ich noch etwas erledigen.«

6
    Das Gebäude der Zulassungsstelle ist ein niedriger, schlichter Kasten, aber auf mich wirkt es wie aus einer Reklamebroschüre, als würde es sagen:
Schau mal vorbei und sieh all die tollen Gelegenheiten, die du verpasst hast.
    Vor ein paar Wochen habe ich mir einen Termin für die Fahrprüfung geben lassen. Ich wusste nicht, ob ich wirklich hingehen würde, aber nun bin ich da.
    Die Fahrprüferin heißt Bertha und hat orangerosa Haare – eine Farbe, die mit Sicherheit in der Natur nicht vorkommt. Sie schaut kaum von ihrem Klemmbrett hoch, nennt nur meinen Namen und hakt Kästchen ab. Sie führt mich durch die Hintertür zu einem kleinen Auto und bedeutet mir, mich hinters Steuer zu setzen. Während ich mich auf dem Fahrersitz niederlasse, knallt sie schon ihre Beifahrertür zu.
    Da überfällt es mich siedend heiß: Hätte ich nicht üben sollen?
    Außer mit Taylor neulich bin ich seit Monaten nicht mehr gefahren, und selbst davor nicht sehr oft. Dad ist manchmal an den Wochenenden morgens früh mit mir zum Parkplatz beim Supermarkt gefahren, und Mom ist einmal mit mir über die Schnellstraße gefahren und hat gesagt: »Machst du super!«, aber während der gesamten zehn Fahrminuten klammerte sie sich an ihrem Sitz fest, als wäre es ein Schleudersitz, obwohl ich nie schneller als 100 gefahren bin. Dann gab es noch Sal, meinen Fahrlehrer. Man könnte ihn als arbeitsscheu bezeichnen. Er hat mich an einem Morgen abgeholt, und wir sind in Los Cerros rumgekurvt, und als er gesehen hat, dass ich meistens auf meiner Fahrspur geblieben bin und beim Abbiegen geblinkt habe und so, hat er gesagt: »Sieht so aus, als ob du fahren kannst, Herzchen. Ich quittier dir einfach deine fünfzehn Stunden, und damit lassen wir’s gut sein.«
    Deshalb ist es wohl verständlich, dass ich etwas aufgeregt bin, als ich hier mit Bertha sitze und mich zu erinnern versuche, wie man eine Kehrtwende macht und wann man trotz roter Ampel abbiegen darf und – wahrscheinlich das Wichtigste – welches Pedal das Gaspedal ist und welches die Bremse.
    »Wir fahren einfach da entlang.« Bertha wedelt mit ihrem Klemmbrett in Richtung einer fast leeren, schnurgeraden Straße. »Dann fahren wir rechts ran, du parkst einmal ein, und dann fahren wir wieder zurück.«
    »Okay«, sage ich, aber ich rühre mich nicht. Gas oder Bremse? Gas oder Bremse? Ich versuche mich an das zu erinnern, was Dad mir auf dem Parkplatz beigebracht hat. Ich weiß noch, dass die meisten Morgen hell und warm waren und dass er seine Tennisjacke anhatte, und hinterher kauften wir uns eine heiße Schokolade beim 7 -Eleven, aber ich weiß nicht mehr, auf welcher Seite die Bremse ist.
    »Du kannst jetzt losfahren«, sagt Bertha.
    »Ist gut.«
    Ich kucke meine Füße an und weiß noch, dass Dad sagte, es ist schwierig, alles zu
erklären
, was man beim Autofahren tun muss. Wenn du einmal kapiert hast, was Sache ist, tust du alles automatisch und brauchst nicht mehr nachzudenken.
    Bertha rutscht auf ihrem Sitz hin und her, und ich habe das Gefühl, dass sie was sagen will, und da lege ich einfach los. Ich stelle meinen Fuß auf das linke Pedal und hoffe, es ist die Bremse. Ich denke daran, wie geschmiert alles lief, als ich neulich mit Taylors Auto gefahren bin, und dass ich da gar nicht lange überlegen musste. Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss um, und wunderbarerweise tuckert der Motor, aber das Auto bleibt stehen. Ich drücke auf das rechte Pedal, und wir fahren los.
    Ich tue einfach, was Bertha gesagt hat. Ich fahre die stille Straße entlang und mache die Kehrtwende, was echt einfach ist, superleicht. Dann fahre ich zurück zu der Zulassungsstelle und parke ein.
    Ich stelle den Motor aus. Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, die Handbremse anzuziehen.
    Bertha überfliegt weitere Kästchen auf ihrem Klemmbrett und schreibt ein paar Bemerkungen. Dann sieht sie mich an und sagt: »Gratuliere.«
    Ich soll ihr ins Haus folgen, und während wir durch den Flur laufen, empfinde ich eine tiefe Liebe für die Zulassungsstelle mit ihren niedrigen Zimmerdecken und schmutzigen Böden und Schlangen von ungeduldigen Menschen, und ganz besonders liebe ich Bertha, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzt, damit Leute wie ich auf die
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