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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
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bis Maddy endlich die Bühne betritt. Dylan wird ungeduldig, aber ich höre Romeo gern zu, wie er von seiner Traurigkeit spricht, auch wenn es nur wegen eines Mädchens ist, das ihn nicht wiederliebt. Aber dann ändert sich das Bühnenbild, und die Amme und Capulets Frau rufen nach Julia, und sie kommt in einem langen weißen Kleid mit einer goldenen Schärpe auf die Bühne und fragt: »Was ist? Wer ruft mich?«
    Dylan drückt mein Handgelenk und zeigt mit dem Kopf auf Taylor, als müsste ich ihn
sofort
wissen lassen, dass das Maddy ist, die einzigartige, unglaublich schöne und begabte Maddy auf der Bühne direkt vor uns.
    Also tu ich ihr den Gefallen. Ich flüstere »Das ist Maddy« in Taylors Ohr.
    Er beugt sich noch näher zu mir heran, und als er sagt: »Ja, ich hab doch ihr Foto gesehen«, streifen seine Lippen mein Ohrläppchen und mir wird ganz warm.
    Romeo und Julia begegnen sich, sie verlieben sich. Das Mädchen, das Romeos Herz brach, verschwindet aus seinen Gedanken. Alle Schauspieler sind gut. Sie sind unglaublich textsicher, und sie scheinen alles wirklich zu fühlen. Julia trinkt das Gift. Wir Zuschauer wissen, dass sie nur so tut, aber ihre Amme weiß das nicht. Sie schreit: »Ach, sie ist tot! Verblichen! Tot! O Wehe!« Und Julias Mutter weiß auch nicht Bescheid. Sie wiederholt die Worte der Amme mit lauter schriller Stimme: »O Wehe! Wehe! Sie ist tot, tot, tot!«
    »Alles in Ordnung bei dir?«, flüstert Dylan.
    Ich sehe, dass meine Hände zittern und lege sie in den Schoß. Ich nicke. Ja. Alles in Ordnung.
    Ich weiß, dass das hier bloß Schauspieler sind. Ich schaue wie gebannt in die Scheinwerfer, als Romeo auf Julias toten Körper blickt. Als er deklamiert: »Hier, hier will ich bleiben. Mit Würmern, so dir Dienerinnen sind. O, hier bau ich die ew’ge Ruhstatt mir«, denke ich:
Dies ist doch nur ein Junge, der in eine Kellnerin in einem 24 -Stunden-Imbiss verknallt war
. »Augen, blickt euer Letztes! Arme, nehmt die letzte Umarmung! Und o Lippen, ihr, die Tore des Odems, siegelt mit rechtmäß’gem Kusse den ewigen Vertrag dem Wuchrer Tod.«
    Ich will nicht an Ingrid denken. Ich will nicht sehen, wie aus ihren Armen Blut in das Badewasser tropft, wie sie ausgestreckt in der Badewanne liegt und den Tod zu sich lässt.
    Romeo trinkt das Gift, und ich versuche ihn mir vorzustellen, wie er in T-Shirt und Jeans im Imbiss sitzt.
    Als Julia aufwacht und sieht, dass Romeo tot ist, legt Maddy so viel Gefühl in ihre Stimme, dass ich mich zwingen muss, ihr nicht zuzuhören. Und ich weiß, was gleich geschehen wird, und ich weiß, dass ich es nicht sehen will. Ich möchte nicht sehen, wie sich Maddy ein Messer ins Herz stößt, auch wenn es kein echtes Messer ist. Ich sehe Dylan an. Doch ihr Blick ist auf die Bühne fixiert, auf Maddy. Sie ist völlig gebannt.
    Taylor drückt meine Hand.
    Ich fülle meine Gedanken mit Wörtern, irgendwelchen Wörtern, ich versuche mich an mein biologisches Fakten-Mantra zu erinnern, aber ich kann es nicht hören – irgendwas über dominante Gene? Blaue Augen und braune Augen? Während ich in meiner Erinnerung danach suche, beugt sich Taylor herüber und flüstert: »Dreh dich um. Schau das Publikum an.« Das tu ich dann.
    Mütter trocknen sich mit Taschentüchern die Augen; Väter zwinkern angestrengt. Die Mädchen wischen sich die Augen, und die meisten Jungs rutschen unbehaglich auf ihren Plätzen herum.
    Taylor flüstert: »Ich habe eine Aufführung von
Heinrich V
. gesehen, die war wie ein Western. König Heinrich mit einem Cowboyhut«, und: »Caitlin, du kannst jetzt wieder hinschauen.«
     
    Nach der Vorstellung warten wir im Theaterfoyer.
    »Caitlin«, ruft Maddy und kommt auf mich zu. Wir umarmen uns, und als wir uns voneinander lösen, sagt sie: »Ich freu mich so, dass du gekommen bist! Vielen, vielen Dank!«
    »Du warst wahnsinnig gut«, sage ich. »Ich habe Shakespeare bis heute Abend nie richtig leiden können.«
    Taylor schüttelt ihre Hand und sagt: »Du hättest mal die vielen Menschen weinen sehen sollen. Du warst echt gut.«
    Wir gehen nach draußen, und Maddy und Dylan werden von unglaublich vielen Leuten begrüßt, während Taylor und ich an der Seite stehen und auf sie warten. Dann verebbt der Ansturm, die meisten sind inzwischen gegangen, und Dylan und Maddy küssen sich leidenschaftlich. Ein paar zufällig vorbeikommende Passanten gaffen sie an. Taylor gafft sie an. Ich gaffe sie an.
    Taylor schaut mich an und hebt eine Braue.
    »Äh«,

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