Ich werde schweigen Kommissar Morry
mich gegen einen Mörder wehren muß. Als er die Bank verlassen hatte, stand er wieder ratlos auf der Straße.
Früher waren seine Tage bis zum Rand ausgefüllt gewesen mit Sitzungen und Besprechungen. Er hatte immer alle Hände voll zu tun gehabt. Nie war ihm eine Stunde Freizeit geblieben. Heute, zum ersten Mal, hatte er einen völlig leeren Tag vor sich. Er wußte nicht, was er anfangen sollte. Fast den ganzen Vormittag irrte er in den benachbarten Stadtvierteln herum. Erst als ihn seine Füße nicht mehr tragen wollten, kehrte er in einem Speiserestaurant ein. Dort nahm er den Lunch zu sich und trank ein paar Gläser Wein. Den Rest des Nachmittags verbrachte er in einer Teestube.
Abends um acht Uhr suchte er die Navarra Bar am Georges Place in Holloway auf. Der Betrieb in den violett angestrahlten Räumen war ziemlich flau. Zahlreiche Tische gähnten ihm leer entgegen.
William Dudley ging an die Bartheke und ließ sich von der blondhaarigen Daisy Hoorn einen Manhattan servieren.
„Haben Sie schon einen von meinen Kollegen gesehen?“, fragte er in dumpfem Brüten.
Daisy Hoorn sah ihn unruhig an. Er erinnerte sie plötzlich auffallend an Mark Vereston. Der war genauso zerfahren und geistesabwesend gewesen wie William Dudley. „Was haben Sie?“, fragte sie beklommen.
William Dudley kramte in seiner Tasche und legte dann die zerdrückte Blume vor ihr nieder. „Sie haben eine solche Blüte doch schon einmal gesehen“, würgte er heiser hervor. „Sehen Sie sich dieses Ding an. Ist es das gleiche, das man bei Mark Vereston fand?“
„Woher haben Sie diese Blume?“, fragte Daisy Hoorn entsetzt.
Ihre Augen wurden groß und starr vor Schreck. Sie zog die Hände ein, um nur ja nicht mit den sichelförmigen Blütenblättern in Berührung zu kommen.
„Diese Blume“, murmelte William Dudley, „wurde mir heute früh mit der Post zugestellt. Ich weiß nicht, wer sie mir schickte. Es lag kein Brief dabei. Es war auch kein Absender angegeben.“
Daisy Hoorn zündete sich eine Zigarette an, obwohl das während ihrer Dienststunden sonst nicht in Frage kam. Sie konnte einfach nicht anders. Sie mußte die erregten Nerven betäuben.
„Ich würde an Ihrer Stelle sofort zur Polizei gehen“, sagte sie drängend. „Denken Sie an Mark Vereston! Diese Blume bedeutet den Tod, Sir!“ „Vielleicht haben Sie recht“, würgte William Dudley durch die Zähne. „Aber ich kann nicht zur Polizei gehen. Sie verstehen das nicht. Ich will auch nicht weiter darüber sprechen.“
„Ihre Freunde“, sagte Daisy Hoorn, „sind eben eingetroffen. Sie nehmen gerade am dritten Parkettisch Platz. Vielleicht holen Sie sich bei ihnen Rat? Vielleicht wissen sie mehr als ich.“
William Dudley schob sich schwerfällig von seinem Hocker herunter. Mit den unsicheren Schritten eines Betrunkenen ging er auf den Parkettisch zu. Scheu und verstört trat er vor seine Kollegen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er brachte kein Wort zur Begrüßung hervor. Sein Gesicht war wie eingefroren. Nur die Blicke irrten unstet hin und her. Sie wanderten ruhelos über die drei gutgekleideten Herren, die da vor ihm saßen.
Es waren Pancras Holm, Winston Finsbury und Aaron Goldsmith.
„Wir haben Sie heute im Plenarsaal vermißt“, sagte Pancras Holm offenherzig. „War Ihnen nicht gut? Oder hatten Sie andere Geschäfte?“
Auch diesmal legte William Dudley statt einer Antwort die verhängnisvolle Blume auf den Tisch.
„Es ist eine Tungasblüte“, murmelte er dumpf. „Sicher wissen Sie, was das bedeutet, meine Herren!“
Die drei am Tisch fuhren entsetzt herum. Ihre Gesichter überzogen sich mit fahler Blässe und ihre Augen wurden eng und gläsern. „Woher haben Sie dieses Teufelsding?“, fragte Aaron Goldsmith entgeistert.
William Dudley war so erregt, daß er alle Höflichkeit vergaß. „Vielleicht war es einer von euch“, zischte er lauernd. „Könnte doch sein, daß ihr im Besitz dieser Blüten seid. Einer muß sie ja schließlich haben.“
„Ich würde mit solchen Verdächtigungen sparsamer umgehen“, sagte Pancras Holm scharf. „Wir sind Ihre treuesten Freunde. Wir haben bisher sogar vertuscht, daß Sie mit Melanie Garden . . .“
„Schweigen Sie!“, polterte William Dudley erregt. „Ich will nichts weiter hören. Sie können mir ja auch nicht helfen.“
„Vielleicht doch“, meinte Winston Finsbury ruhig. „An Ihrer Stelle würde ich mich an Kommissar Morry wenden. Er ist hinter Irving Bacon her, der sich seit Tagen
Weitere Kostenlose Bücher