Ich werde schweigen Kommissar Morry
in irgendeinem Schlupfwinkel verbirgt. Vielleicht hat dieser Schuft die Blumen im Besitz? Er wäre doch nicht geflüchtet, wenn er ein reines Gewissen hätte.“
„Das alles nützt mir nichts“, brummte William Dudley unwirsch.
„Das Verhängnis ist meist schneller als die besten Ratschläge. Da ich nicht weiß, woher die Gefahr kommt, kann ich mich auch nicht dagegen wehren.“
Er wandte sich brüsk ab und strebte dem Ausgang zu.
„Aber so bleiben Sie doch“, rief ihm Aaron Goldsmith nach. „Wir tragen doch alle an dem gleichen schweren Schicksal. Wenn wir zusammenstehen, wird sicher manches leichter . . .“
Er sprach seine Worte in den Wind. William Dudley hörte ihn nicht mehr. Er war schon draußen auf der Straße. Die nächsten Stunden brachten viel Verzweiflung und Kummer für den einsamen Mann. Er saß wieder in irgendeiner Kneipe und sinnierte schwermütig vor sich hin. Die anderen Gäste mieden den wortkargen Gesellen. Auch die Kellner bedienten ihn scheu und zurückhaltend.
Eine Stunde vor Mitternacht brach William Dudley wieder auf. Er ‘wanderte auf den Fishmarket zu. Das Schneegestöber war noch immer so trostlos wie am hellen Tag. Er war weiß wie ein Schneemann, als er den Marktplatz erreichte. In einiger Entfernung sah er den Mitternachtssaloon der Witwe Pattison liegen. Das blecherne Schild schwankte knarrend im Wind. Durch die geschlossenen Scheiben klang dünner Lärm. Ruhelos wanderte William Dudley auf und ab. Vier, fünf Minuten lang ging er ständig hin und her. Immer die gleiche Strecke. Von einer Häuserreihe zur anderen.
Dann hatte er plötzlich das beklemmende Gefühl, als sei er nicht der einzige einsame Wanderer in diesem Schneegestöber. Er horchte.
Ja, es war jemand in seiner Nähe. Er hörte es. Er fühlte es. Er war felsenfest davon überzeugt. Schlagartig vergaß er, daß er hier auf die Männer hatte warten wollen, für die er das Geld von der Bank abgehoben hatte. Die Todesfurcht vor einem Mörder war größer als die Angst vor schäbigen Erpressern. Er machte auf der Stelle kehrt.
Wie ein Verrückter stürmte er in das Schneegestöber hinein. Er blickte weder nach links noch nach rechts. Er horchte nur nach rückwärts. Seine Nerven waren zermürbt wie nie zuvor. Unablässig glaubte er einen Verfolger an seinen Fersen zu haben. Das Schneetreiben legte sich wie ein weißer, gespenstiger Mantel um ihn. Sein eigener Schatten wanderte verzerrt neben ihm her. Seine Schritte brachen sich hohl an den Mauern.
William Dudley lief solange, bis er in eine belebte Straße kam. Dann erst mäßigte er sein Tempo. Er war zum Umfallen müde. Erschöpft wankte er auf den nächsten Taxistand zu.
„Fahren Sie mich zum Love Walk nach Camberwell“, sagte er zu dem Chauffeur.
Der Fahrer schaute ihn belustigt an. „Sie müssen mächtig lang umhergewandert sein, werter Herr! Schütteln Sie bitte Ihren Mantel ab. Sie machen mir sonst die ganzen Polster naß.“
William Dudley gehorchte geistesabwesend. Als er in den warmen Wagen stieg, hatte er das Gefühl, als bliebe der Tod hinter ihm zurück. Alle Gefahren lagen plötzlich weit entfernt. Neben dem großen Chauffeur fühlte er sich sicher und geborgen.
Die Fahrt nach Camberwell dauerte nicht lang. Der Chauffeur hielt am Love Walk an.
William Dudley zahlte den Fahrpreis und stieg aus. Sein Anwesen lag in nächster Nähe. Er hatte nur noch wenige Schritte zu gehen. Wie immer, lagen auch heute die weißen Rolläden vor den Fenstern. Das ganze Haus lag dunkel. Aber in seinem Studierzimmer brannte Licht. Das war etwas so Außergewöhnliches, daß William Dudley verstört stehenblieb. Sein Herz krampfte sich unter ein paar schmerzhaften Schlägen zusammen. Aus verkniffenen Augen spähte er zu den hellen Fenstern hin.
Was hat das zu bedeuten, überlegte er gequält. Hat etwa Helen auf mich gewartet? Wie merkwürdig, daß sie sich dann ausgerechnet in meinem Studierzimmer aufhält. Oder habe ich vielleicht am Morgen das Licht brennen lassen? Es wäre doch seltsam, wenn das niemand gemerkt hätte. Ein eisiges Frösteln kroch über seinen Rücken, während er auf das Portal zuging. Er konnte hier nicht im Freien stehen bleiben. Er mußte das Haus betreten. Es blieb ihm keine andere Wahl.
Noch nie waren ihm die efeuumrankten Mauern so düster erschienen wie heute. Kalter Eiseshauch schien von den Mauern auszugehen. Die schmalen Seitenfenster glotzten ihn tückisch an. William Dudley brauchte lange, bis er sich endlich überwand, die
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