Ich werde schweigen Kommissar Morry
schimpfend wartete er auf die Verbindung. Er bekam jedoch nichts zu hören als das Ticken des Automaten. Dieses eintönige, ewig monotone Ticken zermürbte seine Nerven. Er warf wütend den Hörer auf die Gabel und kehrte mit hängendem Kopf zur Brücke zurück.
„Nichts!“, brummte er tonlos. „War eine Pleite. Wir müssen es anders machen.“
„Morgen“, sagte Ernest Cropp schläfrig. „Morgen ist auch noch ein Tag. Wir werden zu Tante Pattison gehen. Sie muß uns einen heißen Grog brauen.“
„Nichts werden wir“, schrie Rex Chapel ergrimmt. „Wie stellst du dir eigentlich unsere Zukunft vor, he? Glaubst du, die lumpigen sechzig Pfund werden ewig reichen?"
„Was dann?“, fragte Ernest Cropp träge. „Willst du diesem Mann durch ganz London nachlaufen?“ „Nicht nötig“, krächzte Rex Chapel. „Wir nehmen eine Taxe und fahren zu ihm nach Camberwell hinaus. Er soll ruhig merken, daß mit uns nicht zu spaßen ist.“
„Na, meinetwegen“, grunzte Ernest Cropp widerwillig. „Schade um den Fahrpreis. Dafür hätten wir eine ganze Pulle Schnaps bekommen.“
Sie gingen zum nächsten Taxistand und schwatzten solange auf den Chauffeur ein, bis er es ein wenig billiger machte. Dann hockten sie sich hinten in den Fond und grinsten dämlich vor sich hin. Schon nach fünf Minuten waren sie am Ziel ihrer kurzen Reise. Sie stiegen an der Camberwell Station aus und gingen die restliche Strecke bis zum Love Walk zu Fuß.
Wie zwei beutehungrige Füchse pirschten sie sich an das weitläufige Anwesen heran.
Schon von weitem erspähte Rex Chapel die hellen Fenster des Studierzimmers.
„Der Kerl scheint eben heimgekommen zu sein“, knurrte er befriedigt. „Das ist gut so. Er wird sich wundern, wenn er uns sieht.“
Sie nahmen den gleichen Weg wie das letzte Mal. Sie kletterten über die Mauer und schlichen lautlos durch den winterlichen Garten. Vor dem Marmorbecken machte Ernest Cropp halt und nahm einen tiefen Zug.
„Das Wasser schmeckt gar nicht so schlecht“, brummte er. „Man könnte eine Menge Geld damit sparen.“
„Du bist ein Idiot“, zischte Rex Chapel wütend. „Komm hierher! Stell dich nicht so dämlich an!“ Sie drangen wieder durch das Fenster im Erdgeschoß ein und tappten die Treppe hinauf. Die Lage des Studierzimmers kannten sie nun schon. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Überdies fiel durch die Ritzen der Tür ein dünner Lichtschein.
Rex Chapel horchte erst eine Weile, bevor er die Klinke niederdrückte. Zögernd öffnete er die Tür. Zoll um Zoll tat sie sich auf. Der Schein des Kerzenlüsters fiel nun strahlend hell in den Korridor heraus.
„Los!“, zischte Ernest Cropp ungeduldig. „Worauf wartest du noch? Geh doch endlich hinein!“ Rex Chapel stand noch immer unbeweglich auf der Schwelle. Seine Augen funkelten wie die Lichter einer Ratte. Seine Blicke suchten das Zimmer ab. Er sah niemand. Unter der Lampe hing ein feiner Schleier von Rauch und Pulverschleim. Die Luft war erfüllt von irgendeinem grauenhaften Geschehen. Die Atmosphäre war düster und beklemmend.
Drei, vier Herzschläge lang wartete Rex Chapel noch unschlüssig ab. Dann endlich trat er in das Zimmer ein. Er ging auf den Schreibtisch zu. Aber dann — in der Mitte des Raumes — blieb er plötzlich ruckartig stehen. Sein Gesicht verfärbte sich; es bekam einen Stich ins Grünliche. Er starrte auf den Teppich, als hätte er noch nie ein gräßlicheres Bild gesehen. Er war so verstört, daß er nicht einmal ein Wort über die Lippen brachte.
„Was ist denn?“, fragte Ernest Cropp hinter ihm. „Warum gehst du nicht weiter?“
Rex Ghapel deutete stumm auf den Boden. Er war noch immer keines Wortes fähig. Seine Brust hob und senkte sich unter verkrampften Atemzügen.
Jetzt sah auch Ernest Cropp, was sich hier ereignet hatte. Aus glasigen Augen stierte er auf den toten William Dudley nieder. Er sah ein kreisrundes, angesengtes Loch im Mantel. Er sah verkrustetes Blut und eine halb eingesickerte Lache auf dem Teppich.
Seine Blicke irrten fassungslos über das ausgehöhlte Gesicht des Toten. Der aufgerissene Mund war verzerrt in Schmerz und Todesangst. Die Hände waren verkrampft und die Nägel tief in den Teppich verkrallt. Die stumpfen, gebrochenen Augen des Toten waren kaum zu ertragen.
„Es ist wie bei Mark Vereston“, raunte Rex Chapel heiser. „Ich komme immer zu spät. Der Mord kann erst vor ganz kurzer Zeit geschehen sein.“
Er wollte sich niederbücken, um die Taschen des Toten zu
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