Ich will dir glauben
was auch erwachsene Frauen machen, aber nichtsdestotrotz ist sie noch ein Kind. Das sollte dir genügen, um einen Schlussstrich unter die Sache zu ziehen. Die hat schon einiges hinter sich, und so jemanden ins normale Leben zurückzuholen, das weißt du selbst, ist nicht einfach. Trauen kann man so jemandem sowieso nie.«
»Ich habe ihr den Arsch gerettet, sie aus dem Milieu rausgeholt, mich für sie zum Affen gemacht und Gefälligkeiten für sie rausgeschlagen. Sie war illegal im Land, hat sich strafbar gemacht. Und wie hat sie es mir gedankt? Mich sitzengelassen, einfach abserviert. Das ist nicht in Ordnung.«
Die eigenen Worte laut auszusprechen ist etwas anderes, als sie nur zu denken.
»Sie hat auch ihren Teil geleistet. Sie war dir treu. Sechs lange Monate loyal gegenüber einem Mann, der ihr Vater sein könnte. Komm schon, mach keine große Sache draus. Die Welt ist voll von Frauen, auch von jungen Frauen, wenn du darauf unbedingt Wert legst.«
»Wegen ihr ist meine zwanzigjährige Beziehung draufgegangen.«
»Du wirst jemand Neues kennenlernen.« Funi schaut ihm fest in die Augen. Mit seinem Kopf ist er jedoch schon längst wieder bei der Arbeit.
Pietro Corsari spürt das, begreift, dass auch Funi ihn in seiner Situation allein zurücklassen will, und provoziert ihn: »Hast du eigentlich deiner sensationellen Vergani schon gestanden, dass du jetzt auf ihrem Chefsessel sitzt und ihr Büro in Beschlag genommen hast?«
»Verzieh dich, Corsari. Verlass bitte das Zimmer und versuch, dich ein wenig zu beruhigen. Wenn ich mich nicht irre, hast du noch einen halben Tag frei.«
»Und du hast so viel zu tun, dass dir nicht einmal Zeit bleibt, einem Freund zuzuhören?« Er hat einen schärferen Ton angeschlagen, und Funi beschließt, das Gespräch auf professioneller Ebene zu beenden.
»Jetzt hör mal gut zu: Wir haben eine Leiche zu identifizieren, und ich warte darauf zu erfahren, wem ich die frohe Botschaft überbringen darf. Geh nach Hause, schlaf dich aus, und dann lass uns morgen noch mal über alles sprechen. Verstanden?«
Corsari antwortet nicht. Er verlässt das Büro, ohne die geringste Absicht, nach Hause zu gehen. Der Weg, den er einschlägt, führt genau in die entgegengesetzte Richtung.
50
Maria Dolores Vergani: »Ich glaube, es ist ein Fehler zu lügen.«
Max Nagel: »Sehen Sie, wo Ihr Denkfehler liegt? In diesem Ich glaube , wodurch Sie keine klare Gegenposition beziehen.«
Maria Dolores Vergani: »Aber was hat die Lüge mit dem Ganzen zu tun?«
Max Nagel: »Die Lüge, wie Sie es nennen, ist das Recht auf Verteidigung. Die nicht die moralische Ebene einschließt. Ich hätte Sie nicht für so dogmatisch gehalten. Nun aber zurück zu uns. Es geht um einen Mann, dem droht, wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt zu werden, der jedoch weiterhin seine Unschuld beteuert. Aber nicht nur das, er behauptet sogar, es für Sie getan zu haben, Vergani, um Sie zu verteidigen. Dieser Mann hat ein Kind. Ein Kind, das bereits gelitten hat. Erinnern Sie sich an Antonio? Er wurde entführt und misshandelt von eben dieser besagten Frau, die getötet wurde. Ein kleines krankes Kind. Was sollen wir nun tun? Na los, erklären Sie mir, was Ihr Gewissen dazu sagt.«
Er versucht es jetzt auf der Gefühlsebene. Pathetisch, an der Grenze zum Unerträglichen. Oder bin ich es, die langsam zynisch wird? Ich kehre zu seiner Beleidigung von eben zurück: dogmatisch.
»Wenn Sie in mir eine Dogmatikerin sehen, mein lieber Anwalt, dann nur, weil Sie mich in diese Rolle drängen. Sie machen sich die Dinge etwas zu einfach. Sie gehen von Ihrer These aus und begreifen nicht, dass auch meine These ihre Berechtigung haben könnte. Aber der Weg dorthin liegt genau in der entgegengesetzten Richtung zu dem Ihrigen. Ich suche nach der Wahrheit, um später frei entscheiden zu können, und sei es für die Lüge und die Bereitschaft, die Verantwortung zu übernehmen. Sie jedoch verlangen von mir zu lügen, ohne die Wahrheit überhaupt in Betracht zu ziehen.«
51
Maria Dolores: »Für das eigene Kind darf man lügen. Ja, vielleicht.«
Inga: »Natürlich darf man das. Und vergiss nicht, das alles ist ihm passiert, nicht dir. Im Grunde bist du dir doch nicht mal hundertprozentig sicher, was genau geschehen ist.«
Maria Dolores: »Und wenn ich mir ganz sicher wäre?«
Inga: »Das ist aber nicht der Fall, meine Liebe. Du bist dir ja nicht mal zu fünfzig Prozent sicher, was sich zugetragen hat, und nicht etwa, weil du verwirrt bist,
Weitere Kostenlose Bücher