Ich will dir glauben
und ein selbstsicheres Lächeln. Sie trägt Handschuhe, und statt eines Händedrucks zur Begrüßung blickt sie ihn aufmerksam an.
»Wir nehmen alles mit, was wir hier finden können und lassen die Leiche dann überstellen«, erklärt sie in ruhigem Tonfall an die Kollegen der Spurensicherung gewandt, während sie die von Erde beschmutzten, ursprünglich weißen Leinentücher und die Kleidung Schicht für Schicht entfernt. Zum Vorschein kommt der zum Teil verweste Körper eines jungen, maximal zwanzigjährigen Mädchens.
»Wir nehmen sie nach Mailand mit. Ich arbeite ebenfalls dort«, sagt sie zu Funi.
»Natürlich, selbstverständlich. Wie Sie wollen«, antwortet er. Der Blick der Frau ist noch immer auf den Leichnam geheftet. Dunkle Hose, schwarzer Mantel, neue, elegante Schuhe mit flachen Absätzen, an denen Erde klebt. Feine, glatte, blonde Haare.
»Können Sie schon etwas sagen?«, fragt Funi.
»Nein, außer das, was Sie selbst sehen können. Sie ist noch fast ein Teenager, hier sehen Sie die Spuren von Akne im Gesicht? Zierliche Statur.«
Funi nickt. Sie fährt fort: »Äußerlich scheinen keine Anzeichen der Gewaltanwendung erkennbar zu sein, aber ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen. Oder warten Sie: Ich gehe davon aus, dass sie nicht länger als etwa drei Wochen hier liegt.«
»Das könnte hinkommen. Vor einem Monat haben die Carabinieri diese aufgestellten Kreuze hier gefunden. Sehen Sie? Dort drüben liegen sie.«
Die Medizinerin schaut auf die Holzpfähle und stößt einen Laut unverhohlener Überraschung aus.
»Und das sind nicht die einzigen«, fügt Funi hinzu.
Die Frau lächelt. Sie ist jung, um die fünfunddreißig und hat einen straffen Körper mit klaren Linien, ohne Ecken und Kanten. Ihre großen Augen sind stark geschminkt, und ihr weicher Mund wird von einem nicht zu gewagten, aber dennoch gut sichtbaren Lippenstift hervorgehoben.
Währenddessen die einen den Leichnam in einem zwei stündigen Fußmarsch ins Tal hinabtransportieren, schließt die Spurensicherung derweil die Aufnahme der Beweismittel ab. Funi weiß, dass die Ergebnisse nach Lecco geschickt werden, selbst wenn der diensthabende Richter einen Gerichtsmediziner aus Mailand bestellt hat.
»Darf ich mal einen Blick drauf werfen?«, fragt Funi die beiden Beamten, die gerade dabei sind, die Plastiktüten zu versiegeln.
Groß ist ihre Ausbeute nicht gerade: Bonbonpapiere, Zigarettenstummel, nichts von besonderem Interesse, selbst wenn am Anfang erst mal alles danach aussieht.
»Ich gehe dann also. Für mich gibt es hier nichts mehr zu tun.« Die Frau lächelt erneut. Dieses Mal ist sie es, die ihm ihre kleine, schmale Hand zum Gruß entgegenstreckt. Funi ergreift sie und erwidert den Händedruck. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie morgen anrufe?«, fragt er, ohne ihre Hand loszulassen. »Wegen der Autopsie, meine ich.«
»Ich kann Ihnen jetzt noch nicht sagen, ob ich morgen schon so weit bin, aber rufen Sie mich doch trotzdem an.« Sie kramt in ihrer eleganten braunen Ledertasche. »Nina Parisi, bitte schön.« Sie streckt ihm eine Visitenkarte entgegen, als sein Handy klingelt.
»Achille Funi.« Er spricht ins Telefon, doch sein Name ist an sie gerichtet, für den Fall, dass sie ihn bereits vergessen haben sollte. Die Gerichtsmedizinerin nickt. Dann spricht er weiter. »Ich denke überhaupt nicht daran. Ich stehe hier gerade auf einem Berg und bezweifle, dass ich ihn noch rechtzeitig erwischen würde. Außerdem habe ich nicht die Absicht, mich wegen ihm besonders zu beeilen. Schließlich ist er außer Dienst, oder etwa nicht? Dann kann er sich doch rumtreiben, wo’s ihm passt.« Er legt auf.
»Probleme?«, fragt sie.
»Ein etwas ungestümer Hauptkommissar. Aber das sind Dinge, die mich eigentlich nichts angehen.«
»Das kommt darauf an, wie stark Ihre Freundschaft zueinander ist.«
Sicher. Oder wie stark die Abneigung , denkt Funi und drückt es auf seine Weise aus: »Uns verbindet überhaupt keine Freundschaft. Mein Respekt gilt eher der ehemaligen Hauptkommissarin, ich meine … sie ist natürlich noch immer Hauptkommissarin, wenn auch im Moment suspendiert. Sie haben bestimmt von der Geschichte gehört.«
»Sie meinen die Polizeibeamtin, die des Mordes beschuldigt wird?«
»Hauptkommissarin Vergani, ja.«
Dann steigen sie nebeneinander den einzigen Fußweg hinab zu ihren Autos. Sie unterhalten sich über Gefühle und andere komplexe Themen, wobei sie doch nach etwas ganz anderem suchen. Nach ein
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