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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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leisten. Dann fordert sie Funi auf, ihr in einen anderen Raum zu folgen. Sie drückt die Türklinke herunter, und das Tor zur Hölle tut sich dahinter auf.
    Krüppel. Kranke. Alte. Von der schlimmen Sorte. Kehliger Husten. Schleimige Auswürfe am Boden. Taschentücher, die Nasen abwischen. Unverständliche Worte wirrer Geister. Der penetrante Geruch menschlicher Wesen.
    Funi dreht sich zu der Frau, die einen leeren Rollstuhl vor sich herschiebt, Ordnung macht, Kleider und Bettwäsche zu einem Berg auftürmt. Alles gleichzeitig, schnell, eine Bewegung nach der anderen. Er versucht, ihr zu folgen, Beinen und Armen ausweichend.
    Die Frau bricht das Schweigen. »Ich vermute, Sie fragen sich gerade, wo Sie hier gelandet sind. Habe ich recht?«
    »Vor allem frage ich mich, was das alles für Menschen sind«, beginnt Funi, der nur mit Mühe all die Eindrücke verdauen kann, die gleichzeitig auf ihn einstürmen.
    »Arme, Alte, Kranke.« Sie könnte das näher ausführen, tut es aber nicht. Indessen erhebt sich eine männliche Gestalt aus einem der hinteren Betten und schleppt sich zu ihnen. Er muss auf die Toilette. Ihm fehlen die Hände. Die Frau ruft laut einen Namen. Ein Mädchen meldet sich, kommt herein und begleitet den Mann ins Bad.
    »Kannten Sie Anna Tura?«, fragt der Polizeibeamte.
    »Natürlich kannte ich sie«, antwortet Pina Maggi, ohne aufzusehen.
    »Wie ist sie hierhergekommen?« Er hofft auf eine Erklärung, um das alles hier zu verstehen.
    »Durch Disziplin im Umgang mit dem eigenen Körper wird der Geist erhöht. Hier erlernen wir sozusagen, Kontrolle über unsere Triebe zu erlangen. Uns über Vorurteile und Allgemeinplätze hinwegzusetzen. Wir beten, indem wir jeden Tag notwendige Taten vollbringen.« Wie zum Beispiel mit Exkrementen beschmutzte Bettlaken zu wechseln, was sie gerade tut.
    »Aber Sie werden doch mitbekommen haben, dass Anna krank war, oder etwa nicht?«
    »Krank?« Sie blickt ihn fragend an und weist auf die gestrandeten Schicksale um sie herum.
    »Magersüchtig, sie litt unter Magersucht. Sie war schon seit einer gewissen Zeit in Behandlung, aber ohne Erfolg.«
    »Ich würde es eher heroisch nennen. Sie verstand es, das Prinzip der Gegensätze in seine Perfektion umzusetzen«, erläutert sie mit ernster Miene, während sie das Urinal eines alten Mannes ausleert.
    Funi seufzt tief, er weiß, dass er diesen Geruch nicht viel länger ertragen kann. Aber für den Bruchteil einer Sekunde stellt er sich vor, wie er dieses Gespräch Maria Dolores wiedergeben wird. Was würde sie an seiner Stelle noch fragen?
    »Würden Sie mir bitte dieses Prinzip der Gegensätze etwas genauer erklären? Ich befürchte, ich habe davon noch nie etwas gehört.«
    »Leiden lassen sich durch gegensätzliche Mittel kurieren. Hass durch Liebe. Überheblichkeit durch Demut. Zügelloses Verlangen durch Verzicht. Ungehorsam durch Gehorsam. Gier durch Entbehrung. Die Jungfrau Maria hat uns angehalten, zwei Mal in der Woche zu fasten.«
    Die Jungfrau Maria kann bestimmt gut ohne Nahrung auskommen, denkt Funi bei sich. Wir Sterblichen hingegen weniger . »Sie wollen mir damit also sagen, dass Anna auch hier mit dem Verzicht auf Essen weitergemacht hat, ohne dass sie jemand davon abgehalten hätte?«
    »Wir beten hier, wir sind keine Klinik. Und wir schließen in unsere Gebete alle mit ein, die es nötig haben. Wir beten zur Jungfrau Maria, Mutter aller Menschen. Und Anna betete mit uns.«
    Maria Dolores Vergani: »Und während sie betete, unterwarf sie sich tollkühnen Regeln des Fastens, um ihr Gefühl der Unzulänglichkeit und Unsicherheit zu überwinden. Sie stopfte sich mit Worten und Gedanken voll, während jegliche Materie aus ihr wich. Oberflächlichkeit wird ersetzt durch Tiefe. Verstehen Sie jetzt, Funi, wie dieses Prinzip funktioniert?«
    Achille Funi: »An dieser Stelle wusste ich dann nicht mehr, was ich sagen sollte. Das alles kam mir vor wie der pure Wahnsinn, völlig krank. Glaube in dieser Form ist für meinen Geschmack viel zu fanatisch.«
    Maria Dolores Vergani: »Grausam, Funi. Das ist einfach nur grausam. An Hunger zu sterben ist grausam. Hinter so einem Verhalten steckt eine unbändige Wut. Gegenüber jemandem, der einem sehr nahsteht. Fast immer.«
    »Annas Körper hat ab einem bestimmten Punkt dann schließlich gestreikt. Was wissen Sie darüber?« Funi ist überzeugt davon, seine Frage in angemessener Weise zu stellen.
    »Alles was ich weiß, habe ich aus den Zeitungen. Auch, dass sie tot ist. Aber

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