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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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ich nicht. Ich gebe nur weiter, was sie mir gesagt haben. Aber drinnen wartet eine Frau, die nach Ihnen gefragt hat.«
    Der Hauptkommissar eilt in Richtung seines Büros. Auf einem der Holzstühle im Vorraum sitzt Pina Maggi, eine Reihe an Plastiktüten zu ihren Füßen. Sie ist eingemummelt, als gelte es, den russischen Winter zu überstehen, und trägt eine Wollmütze, die ihr über die Stirn gerutscht ist. Als sie Funi kommen sieht, erhebt sie sich und reicht ihm ihre behandschuhte Rechte. Funi hat bereits vergessen, wozu diese Hände fähig waren, greift nach ihr und zuckt sofort wieder zurück. Etwas Glitschiges klebt an seiner Hand. Ohne Funis Frage abzuwarten, erklärt Pina Maggi: »Anselmo hat sich auf der Fahrt hierher übergeben. Er ist das Autofahren nicht gewohnt. Sie sollten sich besser Ihre Hände waschen gehen.«
    »Sicher«, antwortet Funi und verschwindet in der Toilette. Bei seiner Rückkehr sitzt die Frau bereits in seinem Büro. Der Kommissar blickt sie mit einem schiefen Lächeln an und linst verstohlen nach den Handschuhen, um sicherzugehen, dass sie auch nichts dreckig machen. Sie bemerkt seinen Blick und weist auf ihre Tasche, in der sie nun stecken. Noch immer misstrauisch fragt er: »Was tun Sie eigentlich hier?«
    »Ich war im Obdachlosenheim von Bruder Ettore. In letzter Zeit kommen immer mehr Leute aus Mailand zu uns. Aber wir können uns unmöglich um alle kümmern. Und dann dachte ich mir, ich schau mal bei Ihnen vorbei.«
    »Ja, schön«, antwortet Funi.
    Schweigen.
    »Ich habe Ihnen dies hier mitgebracht.« Sie streckt ihm einige herausgerissene Seiten entgegen, die Funi sofort zuordnen kann. »Ich habe sie zwischen den Sachen von Anselmo gefunden, dem Jungen, der sich übergeben hat.«
    Funi überfliegt die beschriebenen Seiten. Das, was er auf den ersten Blick herauszulesen meint, ist nichts als eine vage Vermutung, die jedoch den Beigeschmack von etwas Verbotenem trägt. Wenn auch nicht im Absoluten, so zumindest innerhalb der Mauern einer Klinik.
    »Wo ist Anselmo jetzt? Ich muss unbedingt mit ihm reden«, fragt er mit unverhohlenem Eifer.
    »Draußen«, antwortet sie.
    »Draußen vor dem Präsidium?« Ungläubig, fast glücklich erhebt er sich, um zu ihm zu gehen.
    »Ja. Ein toter Gerechter , man kann es sogar von hier drinnen hören.«
    » Ein toter Gerechter ?«
    »Jeden Tag ist es ein anderer Satz. Heute ist es eben Ein toter Gerechter . Ich weiß auch nicht, warum«, erzählt sie, so als wäre es das Normalste auf der Welt. »Hören Sie, ich muss jetzt fahren. Heute kommen die Sizilianer, und ich habe noch eine Menge vorzubereiten.«
    Für den Augenblick beschließt Funi, nicht nachzuhaken, wer denn die Sizilianer seien. Er tritt aus dem Präsidium und geht auf den Jungen zu. Er bemüht sich, aus ihm herauszukriegen, was es mit den Seiten auf sich hat. Doch Anselmo versucht nur, sie ihm aus der Hand zu reißen. Betreten muss Funi zusehen, wie der Junge sich windet und unter Tränen zwanghaft immer wieder das Motto des Tages verkündet. Ein toter Gerechter richtet die lebendigen Gottlosen.

92
    »Auf Erden gibt es keinen einzigen gerechten Menschen, der sein ganzes Leben lang nur Gutes und nichts Falsches tut.«
    Weißt du, was ich dir gern sagen würde, während du mit allen Mitteln versuchst, mir die Last von meinem Gewissen zu nehmen? Dass dein linker Mundwinkel wie zum Küssen geschaffen ist. Dieser kleine Spalt, er ist perfekt, zart, ganz am äußersten Rand. Man bemerkt ihn kaum. Gerne würde ich dir genau das sagen. Tue es aber nicht, selbst wenn es stimmt. So etwas darf man nicht denken? Ich tue es trotzdem. Ich allein bestimme, was ich denken will. Ob richtig oder falsch, das ist mir einerlei. Ist man erst auf der anderen Seite angelangt, ist nichts mehr unmöglich. Wenn ich mich auf das Denken beschränke, dann habe ich ja nichts getan. In Gedanken kann man nicht sündigen. Oder vielleicht doch?
    »Die absolute Unschuld existiert nicht. Sie ist bloß ein angestrebtes Ideal.«
    Und das nicht einmal für alle, schießt es mir durch den Kopf. Aber ich spreche es nicht aus.
    »Außerdem heißt Arglosigkeit nicht unbedingt, frei von Fehlern zu sein«, fährt er weiter fort. »Der Begriff erhält mehr an Wert, wenn er von einer Person angestrebt wird, die weiß, was Verfehlungen bedeuten. Die sie nicht wiederholt, sich aber treu bleibt und anders verhält. Die wirklich daran glaubt. Die weiß, die Dinge umzusetzen, die sie gelernt hat. Das hast du mir selbst gesagt, an

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