Ich will doch nur normal sein!
es immer zu sagen. Es wird nicht anders dadurch. Nichts hilft. Nur für kurze Zeit Tavor, oder, wenn ich es nicht mehr aushalten kann – schneiden.
Bis jetzt habe ich es geschafft, mich nicht zu schneiden. Bin ich stolz darauf? Nein. Ich habe die Rasierklinge und das Handtuch unter meinem Kopfkissen liegen und weiß, wenn ich nicht mehr kann, werde ich es doch wieder tun. Darauf bin ich auch nicht stolz. Aber wer und mit welchem Recht kann verlangen, dass ich diese Schmerzen aushalten soll und muss?
So, nun ins Einzel. Als erstes ging es darum, weil ich am Mittagstisch einen Pfleger angesprochen habe, weil eine Mitpatientin sehr stark nach Schweiß riecht und ich bat ihn darum, die Patientin doch zum Duschen zu veranlassen. Der Pfleger kam kurze Zeit später zu mir und sagte mir, ich solle selbst mit ihr reden. Ich habe aber beobachtet, wie aggressiv die Frau sein kann und ich fühle mich zur Zeit nicht in der Verfassung, mich mit ihr auseinander zu setzen. Ich ging deshalb zu meiner Bezugspflegerin Maria und bat um Unterstützung. Maria sagte mir zu, dies zu klären. Es geht darum, dass ich dann sehr schnell einen FB bekomme und einfach Angst davor habe, im Speisesaal vor allen Patienten in eine solche Situation zu geraten. Es ist mir immer lieber, ich kann mich schnell genug zurückziehen und keiner bekommt etwas mit und stiert mich dann tagelang an. Ich dachte, klasse, nun ist das schon wieder bis hier unten bei Herrn Dr. S. gelandet. Am besten hätte ich nichts gesagt. Es war mir peinlich, solche Umstände zu machen. Obwohl ich am Anfang dachte, ich muss für mich sorgen und dafür sorgen, dass ich keinen FB deswegen bekomme, weil es gerade mal ekelhaft nach Schweiß riecht.
Ich habe auch immer das Gefühl, ich selbst stinke, stinke so wie ich früher gestunken habe. Aus diesem Grunde wasche ich mich oft, sehr oft und achte sehr darauf, ob jemand merkt, ob ich stinke. Es ist mir noch nie aufgefallen, dass jemand darauf reagiert hat und mir aus dem Weg gegangen ist. Ich stinke nur in meinen Gedanken, habe also nur das Gefühl. Schäme mich und Ekel mich und fühle mich so, als würde ich stinken.
Seit dem letzten FB denke ich wieder, ich bin selbst schuld, habe ja alles so gemacht, dass es denen gefallen hat, dass sie mich loben und mit mir zufrieden sind. Ich weiß, draußen saß mein Opa und passte auf, dass ich spurte und ich hatte Angst. Doch in meinem Kopf ist es so, dass ich eine Rolle, wie eine Schauspielerin gespielt habe, zur Unterhaltung der Leute gut war und es gut gemacht habe. Es war nur eine Scheiß-Rolle, die ich spielen musste und gespielt habe. Jetzt fühle ich mich selber Schuld an allem und schäme und ekle mich vor mir, denn ich war es, die das alles gemacht hat und dann gelobt wurde. Was dahinter stand, die Angst, verprügelt oder die Androhung, umgebracht zu werden, helfen mir dabei nicht viel. Ich sehe mich, wie ich da agiere, wie ich mich verhalte und wie ich dann froh bin, wenn Opa zufrieden ist und nicht böse wird. Ja, ich bin auch froh, wenn er dann selbst noch mit mir tut, was er tun möchte und, wenn das nur das „Normale“ ist und er mich nicht quält. Ich denke, wie kann man überhaupt über so etwas froh sein – ist das nicht irre, ist das nicht krank?
Ich muss mich doch schämen dafür, das tue ich auch und ich ekle mich vor mir. Es ist so, dass ich weg sein will. Nicht mehr damit leben will, weil ich das war, weil ich das alles getan habe. Ich glaube, so wie ich meinen Opa geliebt habe, so habe ich ihn auch gefürchtet. Er war doch der einzige Mensch, der mal freundlich zu mir war, nicht gemeckert hat. Mich nicht nur „Dicke“ oder „Fette“ genannt hat. Der Einzige, der mich mal in den Arm genommen hat und getröstet hat. Auch wenn er derjenige war, der mir zuvor wehgetan hat. Wie kann man diesen Opa noch lieb haben, der einen in andere Häuser bringt, „zum Benutzen nach Bedarf“?
Ich habe ihn noch lieb gehabt. Ich weiß, das ist nicht zu verstehen. Aber er war auch derjenige, der mich immer wieder in Sicherheit gebracht hat (ich meine danach nach Hause gebracht hat, wenn alles vorbei war).
Wer das jetzt liest, der denkt sicher: „Die hat doch einen Knall, die ist nicht ganz dicht – so einen noch lieb haben, hassen musste sie ihn doch.“ Ja, musste ich.
Ich weiß nicht, was Hass war, ich konnte nicht hassen. Ich hatte nur Angst und war dankbar, wenn es vorbei war und nicht zu schlimm war. Aber hassen oder auf ihn oder jemand böse sein – nein, das kannte
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