Ich will doch nur normal sein!
fühle – ich kann es nicht beschreiben, das kann ich nicht. Ja, ich kann es nicht aushalten, wie es mir geht. Ich kann es nicht aushalten und schreibe und schreibe, damit ich es loswerde.
Wer kann da helfen? Trösten? In den Arm nehmen? Das geht nicht. Ich kann nicht einmal die Umarmung meines Mannes ertragen. Mein Körper kann es nicht ertragen. Mein Mann tut mir leid, er kann nichts dafür, für das was passiert ist, er hat mir nichts getan. Er hat die ganzen letzten Jahre neben mir ausgehalten, hat manchmal gedacht, ich drehe durch, werde verrückt. Oft, sehr oft habe ich es selbst gedacht und wollte mich aus Angst davor lieber umbringen.
Mein Gott, was hat mir mein Opa angetan, ich war doch erst 3 Jahre alt. Nun bin ich 50 Jahre älter und muss das alles als mein Leben begreifen. Will ich das? Kann ich das? Schaffe ich das?
Es waren mein Opa, mein Bruder, mein Stiefvater, mein Vater – meine Familie. Ich gehöre zu dieser Familie, zu so einer Familie. Meine Mutter? Ich habe sie so geliebt und auf ihre Hilfe gehofft. Sie hat mir mit 13 Jahren meine Mutter weggenommen, indem sie mich einfach so weggegeben hat und mit 52 Jahren hat sie mich verprügelt, weil ich damals den Mund aufgemacht habe.
Meine Familie.
Während meiner Krankheit (monatelange Aufenthalte in der Psychiatrie) verlor ich meinen Adoptivsohn. Er verschwand einfach, zog daheim aus und später tauchte er unter und ich weiß keine Adresse, nichts.
Meine Erste Ehe – eine Hölle.
Meine 2. Ehe – nicht viel besser.
Meine Pflegetochter wurde missbraucht. Ich erstattete Anzeige und wurde verurteilt wegen Verleumdung, 2 Jahre später. Mein Leben war kaputt. In der Berufungsverhandlung, ich wurde freigesprochen. Das Jugendamt hatte ein Schriftstück, auf dem meine Pflegetochter alles, was der Kerl ihr angetan hatte, aufgeschrieben hat. Der Richter fand es durch Zufall, als er die Vertreterin des Jugendamtes etwas fragte, sie nicht antworten konnte, ihm aber den Ordner zur Einsicht vorlegte. Welch ein Zufall!
Ich fühlte mich nicht freigesprochen, nie wieder. Meine Pflegetochter habe ich verloren und ich sah sie nie wieder. Nun bin ich 53 Jahre und es wird mir gesagt, es soll anders werden? Alles soll vorbei sein? Ich soll leben können nach der Therapie? Geht das noch? Kann ich wirklich frei werden von all dem? Von meinem bisherigen Leben? Was ist dann noch von mir da, was gehört noch zu mir? Mein Körper, der ist noch da. Aber gerade mein Körper ist doch die Erinnerung an alles und ich hasse ihn und genauso sehen meine Arme aus. Zerschnitten, vernarbt. Nicht zerschnitten, weil ich mich hasste, sondern zerschnitten, um zu überleben und nun frage ich mich, wofür?
Wo stehe ich?
Was soll ich denken, was ich bin?
Kann mir einer erklären, wie man so etwas wegsteckt?
Wie man so noch ein gutes Leben haben kann. Ich möchte so gerne wenigstens jetzt noch etwas von meinem Leben haben – geht das? Geht das wirklich? Ich weiß meinen Namen, aber wer ich bin und wie ich bin, ich weiß es nicht. Mein Leben war bisher nur funktionieren oder krank sein. Eine Rolle spielen, bis zur Erschöpfung und dann wieder Psychiatrie. Jetzt soll es anders werden? Wird es das?
Jetzt ist es fast Morgen. In einer Stunde werden die anderen Patienten aufstehen und ein neuer Tag fängt an. Ich weiß nicht, wie ich ihn anfangen soll und wie ich es schaffen soll, so zu tun, als könnte ich normal leben. Soll es das sein?
Nein, ich will nicht so tun, als sei ich normal, ich will normal sein!
Ich habe diese Nacht, wie so oft, kein Auge zu bekommen und ich habe immer noch Angst vor dem Schlafen, den Albträumen, dem Würgen. Ich habe Angst zu schlafen. Ich weiß, es sind nur Albträume und mich würgt keiner, aber diese Todesangst, die ist da, die spüre ich – immer und immer wieder. Wie lange noch? Ich habe keine Kraft mehr, halte das alles nicht mehr aus.
29.4.2004 Mein Tagesbericht:
Es ist Nacht 1:30 Uhr und ich kann nicht schlafen. Es war einfach zu viel und ich kann gar nicht mehr richtig denken. Ich komme mir so unwirklich vor.
Es ging mir besser, als ich den Zusammenhang nicht kapiert habe und alles einzeln war, nun gehört alles zusammen und ich weiß nicht, wie ich das verkraften soll. Ich weiß nicht, wie ich mich fühle – ausgelaugt, kaputt und einfach nur sprachlos. Ich finde keine Ruhe und habe einen zusammenhängenden beschissenen Film in meinem Kopf, den ich noch nicht begreifen kann, will, möchte.
Es ist einfach zu viel und es ist etwas
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