Ich Will Ihren Mann
Beamte in Zivil. Alle redeten durcheinander, jeder wollte erfahren, was wirklich geschehen war. Einige Exemplare der Morgenzeitung lagen aufgeschlagen auf den im Raum stehenden Lesetischchen. Doch man hatte vergeblich auf nähere Informationen von seiten der Presse gehofft. Das Blatt meldete lediglich in großen, häßlichen, schwarzen Lettern, daß man Al Weatherby, einen der führenden Juristen Chicagos, auf brutale Weise zu Tode geprügelt habe. Die Untersuchung habe mehrfache Schädelfrakturen ergeben, verursacht durch eine stumpfe Waffe. Von Beth Weatherby wurde berichtet, sie habe einen schweren Schock erlitten. In Anbetracht der zahlreichen Verletzungen, die sie an Kopf und Körper davongetragen hatte, war es anscheinend ein Wunder, daß sie überhaupt noch lebte. Wer kann so was Furchtbares getan haben? dachte Lilian. Und warum nur, um Himmels willen? Warum?
»Dürfte ich um Ihren Namen bitten?« Lilian zuckte zusammen und starrte den jungen Polizisten verständnislos an. Er ist höchstens einundzwanzig, dachtesie und ließ einen schnellen, prüfenden Blick über seine Kollegen gleiten. Sie stellte fest, daß alle ungefähr im selben Alter waren. Die reinsten Kinder. Oder liegt es daran, daß ich älter werde? Kommen mir deshalb die Jungen immer jünger vor? Im Augenblick fühlte sie sich uralt. Und wahrscheinlich sehe ich auch so aus, dachte sie. Nach Nicoles Anruf war von Schlaf keine Rede mehr gewesen. Aber nicht nur gestern nacht, nein, seit unserer ersten Begegnung vor ungefähr zwei Monaten hat dieses Biest ununterbrochen dafür gesorgt, daß ich nicht mehr zur Ruhe komme.
»Lilian Plumley«, sagte sie, ohne zu wissen, wieviel Zeit zwischen seiner Frage und ihrer Antwort lag. »Sind Sie mit diesem Herrn verheiratet?« fragte der Polizist mit einem Blick auf David. Sie nickte. »Sind Sie auch Anwältin?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin beim ...« Sie stockte. Beinahe hätte sie gesagt: »Ich bin beim Fernsehen.« Sie sagte: »Ich bin an der Uni. Ich kann es immer noch nicht fassen«, murmelte sie, obwohl ihr klar war, daß der junge Mann diese Bemerkung heute morgen sicher schon hundertmal gehört hatte. »Ich hab' gestern abend noch mit Beth gesprochen.«
»Wie bitte?« Die Haltung des Polizisten veränderte sich mit einem Schlag. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf; seine Schultern strafften sich; in seinen Augen spiegelte sich lebhaftes Interesse. Erstaunt nahm Lilian die Veränderung wahr.
»Ich sagte, ich hab' gestern abend noch mit ihr telefoniert.«
»Um welche Zeit?«
»So gegen halb sechs. Oder nein, vielleicht eher Viertel vor.«
Der Polizist machte sich rasch ein paar Notizen. »Einen Moment bitte«, sagte er abschließend und verschwand im Korridor. Lilian beobachtete, wie er mit einem älterenHerrn in Zivil sprach, der sich sofort nach ihr umwandte und gleich darauf dem Polizisten ins Wartezimmer folgte.
David unterbrach das Gespräch mit seinen Kollegen. Als ob er ahnte, daß etwas geschah, was auch ihn anging, kam er eilig auf Lilian zu.
»Was ist los?« fragte er, als der Zivilbeamte sich seiner Frau vorstellte.
»Captain Keller«, sagte dieser freundlich. »Sie sind Mrs. Plumley, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Lilian und spürte mit Unbehagen, wie die Blicke der anderen sich auf sie richteten. »Rogers hier hat mir erzählt, daß Sie gestern abend noch mit Beth Weatherby telefoniert hätten?« »Ja, das ist richtig. So zwischen halb sechs und sechs.« »Würden Sie uns bitte mitteilen, worüber Sie gesprochen haben?«
Lilian überlegte, wie sie anfangen sollte. Es war plötzlich ganz still im Zimmer. Als sie merkte, daß die Aufmerksamkeit aller auf sie gerichtet war, wurde sie verlegen. Es war, als stünde sie mitten im Rampenlicht, und ringsum lauerten die Kameras, um jede ihrer Bewegungen einzufangen. Diese Rolle lag ihr nicht. Sie zog es vor, den Blickwinkel der Kamera zu lenken: Alles klar, Rick, siehst du den großen, hageren Polizisten da an der Tür? Er soll sich für das Interview 'n bißchen näher ans Fenster stellen. Versuch den Baum mit ins Bild zu kriegen. Das gibt 'n bißchen mehr Farbe. Die Kameras hatten es ihr ermöglicht, unmittelbar in das Geschehen eingreifen zu können, jedoch ohne sich persönlich zu exponieren. Jetzt stand sie selbst im Mittelpunkt, aber ohne die Kamera fühlte sie sich nackt und hilflos und kam sich ein wenig lächerlich vor. Schließlich hatte sie nichts besonders Wichtiges zu berichten. Doch als sie in die
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