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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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bedeckten Bibliotheksbücher und Arbeitsbogen die Kisten und Koffer, die des Auswanderers Möbelstücke sind, und der alte eichengedielte Raum mit seinem gotischen Fenster nahm das gemütliche Aussehen einer Werkstatt an.
    ›Wie heimelig schaut’s da aus‹, sagte ein Schweizer Fremdenpolizist, der eines frühen Morgens kam, um uns zu kontrollieren. Renata gab den Tagen sogleich den Rhythmus, der sich in unserem Leben dort bis zur Weiterwanderung nach Amerika erhielt: Jeden Morgen schrieb sie ein Stückchen, am Nachmittag Arbeit mit und für Frau Landmann, abends und sonntags Gespräche und Lesen mit anderen Freunden.
    Renatas Briefwechsel mit Freunden in Deutschland hatte in dieser Zeit eine bestimmte Absicht; das inständige Bemühen, ihre Freunde vor der unbewussten ›Vereinnahmung‹ durch die nationalsozialistische Umgebung zu bewahren. Renata war auch in den Basler Jahren immer sie selbst. Sie ließ die Formen der ›inneren Emigration‹ nicht gelten. In Salons der ›guten Gesellschaft‹, die mit ihrer eigenen Kritik am Nationalsozialismus so wohl zufrieden war, wirkte sie wie der Hecht im Karpfenteich. Da die Stapfelbergerinnen wie gute Wachhunde immer gleich bellten, wenn etwas nicht stimmte, wurden sie bald gefürchtet und weniger als vordem eingeladen oder gar zur Diskussion gebeten. Der Basler Universität schienen begabte Emigrantinnen im Allgemeinen nicht allzu willkommen. In einer Zeit, die von Kompromissen lebte, wirkten die beiden Frauen fremdartig, ich möchte sagen: fremdartig erhaben.«
    Marianne von Heereman,
»Renata von Scheliha. Die Schweizer Jahre«
    Renata von Scheliha, 1939
    Es dauert nicht lange, bis Ilse im Haus zum Fälkli anklopft. Vermutlich hat sie von Edgar Salin erfahren, dass sich am Stapfelberg eine »interessante« Berliner Frauenkolonie eingenistet hat.Mögen die beiden Denkerinnen auch in ganz anderen Sphären als Ilse schweben, abends wird gern und tüchtig Rotwein gebechert, und Renata raucht, bis die Bude qualmt. Die »Stapfelmäuse«, wie sie sich selbst nennen, sind trotz altphilologischer Hauptsache bestens informiert. Es werden Briefe geschrieben, und es kommt Post aus Berlin und aus Renatas schlesischer Heimat. Vieles zwischen den Zeilen, einiges verschlüsselt. Renatas Bruder, der Diplomat Rudolf von Scheliha, kommt mehrmals zu Besuch in die Schweiz, in Mission und auch, um die Schwester zu treffen. Seine Dienststelle befindet sich im Bendlerblock. Er weiß von Berlin und von der Front zu berichten. Sehr bald ist man im Fälkli besser über die Vorgänge im Osten informiert als in mancher deutschen Stube. Marianne von Heereman erinnert sich:

    »Schon war das grause Schlagwort ›Endlösung der Judenfrage‹ aufgekommen, und Nachrichten von viehischen Gewalttaten der SS gegen die Juden sickerten durch. Renatas Vorschau vom Entsetzlichen wurde mit jedem Tag mehr bestätigt.
    Bei Kerzenlicht Gedichte zu lesen, so glaubten manche, und Schweigen über alles Hässliche zu breiten, sei doch erhabener und angemessener. Renata aber verlangte nach dem Wort, das der Mensch angesichts solcher Wirklichkeit finden muss, nach dem Wort als Messer, als schneidendes Bekenntnis. Danach erst raffte sie sich aus tödlicher Bitternis und ging an ihre tägliche Arbeit.«
    Ilse erlebt Renatas Bitternis und Verzweiflung; auch wenn sie an manchem Abend aus eigener Bedrückung geschwiegen haben mag, so hat sie doch zugehört. Im Januar 1940 bemüht sich Ilse ein zweites Mal um eine Einreisebewilligung für Marie. Auch wenn es ihr unerträglich erscheint, noch einmal mit ihrer Mutter unter ein Dach zu ziehen, so drängen die drastischen Worte der Frauen vom Stapfelberg Ilse zum Handeln.

    Berlin, den 17.

Januar 1940
    Meine geliebte Ille,

    dass die Briefe nach dem Weihnachtsverkehr schneller bestellt werden, ist leider irrig und sehr beklagenswert dazu. Gestern kam Deine Karte vom 9. geschrieben erst an, also man kann rechnen, dass unsere Nachrichten eine ganze Woche brauchen. In dieser letzten Karte schriebst Du mir, dass Du mit Fredi im Hotel Drei Könige [das erste Haus am Platz in Basel] Mittag gegessen hattest, aber an dem Rehbraten keinen Genuss hattest.
    Es ist schrecklich; aber auch Du, mein liebes Kind, hattest niemals den richtigen, für ihn passenden Weg und Ton und bist absolut nicht freizusprechen, wenn jetzt alles so kommt, wie es nicht hätte sein brauchen. Ich habe es ja leider oft genug erlebt, wie es immer von beiden Seiten hart auf hart ging und Dein Gepöbele mir

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