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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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Frühsommer 1940 beginnt Marie, ihre Sachen im Haus zu räumen. Bis auf das Notwendigste in ihren zwei spärlichen Zimmern im Untergeschoss rüstet sie sich für eine Reise ohne Ballast. Sie räumt und verwertet so gründlich, dass der Vollziehungsbeamte Tackowski am 29.

Juni 1942 lediglich 468 RM für ihr letztes, notgedrungen in der Landhausstraße verbliebenes Mobiliar »erlösen« kann.
    Marie »überschwemmt« Ilse mit ihren »Haushaltswaren«. Einiges davon ist schon jetzt willkommen, denn Ilse zieht am 1.

Juni 1940 um; in die Hardstrasse 63. In ihren Juni- und Juli-Briefen zeigt sich Marie sehr an der Lage, der Einrichtung und der Gestaltung der neuen Wohnung interessiert:
    »Na, im nächsten Brief wirst Du mir das Wohnzimmer beschreiben und vielleicht auch bald mal, mit welchem Mann du darin glücklich bist, ohne diese Gewissheit hat alles keine Reize, keinen Sinn. Und wenn Du einen Halt hast, werde auch ich ihn noch finden können«, und hofft: »Gebe Gott, dass damit bessere Zeiten kommen und ich sie [die Wohnung] bald mitbewohnen kann« – nicht nur im Geist ist Marie bereits eingezogen, auch mit ihren Lieferungen vom Bettlaken bis zum Läufer sorgt die Mutter dafür, dass in Basel ein gemütliches »Landhaus-Nest« so ganz nach ihrem Gusto hergerichtet werden kann.
    Einsamkeit überkommt Marie auf dem Dachboden:

    Berlin, den 9.

August 1940
    Mein Geliebtes,

    wehmütig ist mir doch jedes Mal ums Herz, wenn ich da oben in alten Beständen herumkramen muss und alles, was mir da lieb ist, so enden muss. Andauernd räume ich da oben auf und finde dabei so viel Aufbewahrtes, was mir wehtut. Gestern in dem Bodenschrank, früher der Bücherschrank von Dir, lagen noch alle Briefe von Brunar [Ilse hatte in der Spielzeit 1930 ein Jahresengagement am Lobe-Theater in Breslau. In dieser Zeit hatte sie eine Liaison mit dem Dramaturgen Herbert Brunar, der ab 1933 als Literarischer Spielleiter und 1.

Sprecher der Schlesischen Funkstunde eine NS-Karriere macht], die ich alle zerriss, einstmals so viel Glückseligkeit! Fotos von der Reise mit ihm, Rollen aus Deiner Schauspielzeit, Gedichte von Dir (sehr hübsche, die ich aber aufbewahre), angeschimmelte Briefe an die Pretzel aus der Schule und nachher. Und was bringt mir das für Erinnerungen hervor! Wie habe ich oft dabei gelitten, viel Kummer machte mir manches, und so ist es dann im mer weiter geblieben, unsagbar viel Schmerz um Dich, weil Du mir nicht nahe warst, immer das tatest, was schlecht für Dich war, meistens noch von Wirkung bis heute.
    Unter diesen Eindrücken las ich Deine Post und war natürlich wie immer bei Deinen Schilderungen ergriffen. Schreibst Du von Freude und Zufriedenheit, bin ich traurig, nicht mit Dir genießen zu können, berichtest Du von Kummer und Fehlschlägen, ist auch mir weh zumute, weit weg, Dir nicht zur Seite zu sein und zu helfen. Gewiss, es macht mich stolz und tut meiner Eitelkeit wohl, so ein kluges Mädel zu haben, das solche Briefe schreibt wie heute, dass das mein Kind ist! Was den Inhalt derselben betrifft, gebe ich Dir vollkommen recht, weil ich Dich und Deine Auffassung vom Inhalt des Lebens verstehe; möge es sich doch nur endlich nach Deinen Wünschen gestalten. Ich glaube aber, durch einen Mann niemals! Der Brief, den Du an Fredi geschrieben hast, ist wunderbar, gerichtet an jemand, der auf dem Bildungsgrad steht wie Du, aber für ihn war er nichts weiter als beschämend und kränkend, und so hat er auch darauf reagiert […] Er ist der Ansicht, dass Du ihn jetzt, nachdem es ihm schlecht geht, verabschiedest, wo er um Heirat kommt. Oder hast Du mich belogen, als Du mir immer schriebst, Du wolltest geheiratet werden, und er lehnte es ab? All das ist ja zwar jetzt indiskutabel, obgleich jedes andere Durchschnittsmädel, das eben nicht so gescheit ist wie Du, wenn sie arm und nicht mehr ganz jung, auch heute noch »Ja« gesagt hätte.
    Vielleicht erlebe ich es doch noch, Deinen Reinfall Schwiegermutter zu werden, ein Reinfall wird es für alle Fälle, wenn es mal stattfindet.
    Und es muss doch sein, Du wirst bei all Deinen Vorzügen nicht allein fertig, sage ich Dir, materielle Sorgen sind bitter, und dann immer fremde Menschen helfen lassen ist weiß Gott ebenso hart.
    Du musst also die praktische Seite der Medaille sprechen lassen und Dich umsehen, halbwegs Deinen Ansprüchen gerecht zu werden, es ist ja alles schön und gut mit den freundlichen Gesinnungen der Maria [Netter] und Genossen, Schweizerin

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