Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
wirst Du dadurch nicht werden, und mich retten kannst Du damit ebenfalls nicht; ich sage Dir, mein SOS-Ruf kann nur dadurch erhört werden, ich will keine Blaubeertorte, sondern tro ckenes Brot, nur raus und noch lebend, und für lange Vertröstungen ist keine Zeit.
Warum ist es nicht möglich, einen Mann zu finden? Auf Schritt und Tritt und mit jedem Tag mehr sehe ich nur darin einen Ausweg, und wenn Du das nicht endlich begreifst oder verstehen willst, muss ich an Deinem Verstand verzweifeln. Meine Situation besteht nur aus Sein oder Nichtsein – entweder aus dem Schlamassel herausgeholt werden (durch Dich) oder Verderben.
Seit einer Woche ist täglich Hochbetrieb [Bombenalarm], und diese Störungen haben mir auch noch gefehlt. Hätte ich alles nicht mehr nötig gehabt, wenn ich bei meiner verheirateten Tochter gewesen wäre. Aber bequem habe ich es wenigstens dabei, wo ich doch nur durch die Badezimmertür brauche, um im Gang zu meinem Liegestuhl mit Kissen und Decken zu gelangen, wo ich der Dinge harre, die da kommen. Und sie kommen nicht von Pappe.
Adieu mein geliebtes Kind, ich muss noch einkaufen,
es ist gleich 5
Uhr und Schluss für J.
Deine Mutti
Apropos, da fällt mir ein, dass Grundbegriffe von Wölfflin bei meinem Buchhändler am Prager Platz noch als Letztes vorrätig war (10 M.) und in einigen Tagen aber erst abgehen kann, weil die Chefin verreist ist, die die Auslandsvollmacht zum Versand hat. Der Verlag dagegen nimmt vorläufig keine Bestellung an für Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen . Ich werde sehen, ob es bei Gsellius vorrätig ist, indem ich morgen telefoniere. Es geht dann beides an Oertl ab.
Beinahe zeitgleich mit dem Überfall auf Belgien und Holland rücken starke Truppenverbände der Wehrmacht auch im südlichen Schwarzwald ein. In der Schweiz steigt die Nervosität. Am 10.
Mai erfolgt die zweite Mobilmachung der Armee. In Basel machen sich Angst und auch Panik breit. Die Stadt am Rhein ist nach allen Seiten offen und militärisch nicht zu halten. DieÄngstlichen und auch viele Juden drängen zum Bahnhof und stürmen die Züge in Richtung Genf und Lausanne, 20
000 in drei Tagen. Auch die Schwestern Irma, Jeanette und Hertha Heim fliehen – nach Montreux, wo sie sich in einer koscheren Pension einmieten.
Salin ist von der Dramatik gleichfalls ergriffen:
17.
Juni 1940
Wenn allgemeine und persönliche Bedrängnis sich so vereinigen wie in diesen Tagen, so ist es mir nicht gegeben, nicht erlaubt, von anderem zu schreiben als dem Schicksal Verhafteten.
In sehr gutem Gedenken,
E.
S.
Und selbst am Stapfelberg wird fleißig gepackt:
»Das ganze freizügige Basel floh aus den Toren. Söhne und Freunde drängten auch Frau Landmann, der Grenzstadt den Rücken zu kehren. Sie folgte zwar den Bitten, blieb aber völlig gelassen und sorgte sogleich praktisch für den weiteren Lebensfortgang.
In Céligny am Genfersee fand sie für sich und uns einen Erholungsort. Renata war durch die Angst um Frau Landmann außer sich.«
Marianne von Heereman,
»Renata von Scheliha. Die Schweizer Jahre«
Renata von Scheliha und Marianne von Heereman verbrennen vor ihrer Abreise die Post der deutschen Freunde, damit sie nicht in fremde Hände falle. Die Kriegserwartung erfüllte sich zum Glück nicht, doch die »Studentinnen« kehren erst zu Beginn des Wintersemesters nach Basel zurück.
Ilse bleibt zunächst, obwohl sie eigentlich vorhatte, mit Sack und Pack nach Vevey zu ziehen und die Sankt-Alban-Wohnung schon gekündigt hat. Doch die Gefahr ist schneller im Verzug, als gedacht. Ende Mai bekommt sie von ihrer Freundin Maria Netter, die in der Hardstrasse 71 wohnt, den Hinweis, dass in Nr.
63 eine süße kleine Wohnung frei wird – »fast gegenüber« von E.
S. Gesagt, getan, obwohl noch unklar ist, wie die Miete finanziert werden kann. Ilse hat beschlossen, sich nicht länger von Fred abhängig zu machen, kann sein, dass ihm das gelegen kommt, denn mit der unsichern Lage der Fabrik muss auch dieser verwöhnte Mann zurückstecken und wird nicht mehr so ohne Weiteres in der Lage sein, seine langjährige »Verlobte« großzügig zu finanzieren. Aber Ilse verliert den Überblick nicht und wendet sich dem Nächsten in ihrer Reihe zu; getreu dem Motto »Das Weitere überlasse ich der Zukunft«, kommt sie nun ihrem schmollenden und »arg verföhnten« Verehrer und spiritus rector auch örtlich entgegen. In nächste Nähe gezogen, kümmert sie sich stundenweise um
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