Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
Vom Netzwerk:
vielen Fischerhäuschen nicht direkt protzig aussieht, so dumm ist er nicht, sondern als Villa eher lasziv. Im Hintergrund Barbagelata, sein Volvo, seine Geliebte beim Aussteigen aus dem Volvo, er.
    Was hat die Blonde mit Nahost zu tun? (Erste Kontakte womöglich während des vorgeblichen Archäologiestudiums? Überprüfen!)
    Jetzt sollen sie aussteigen in ihre Zukunft. Wir sehen uns vor Gericht.
    Wir sehen vor uns: die Schienen werden mehr und dichter, rechts die Hochhäuser von Lyon Part Dieu.
    Sie steigen aus.
    Ich bin weit davon entfernt, aus guten Gründen, die mir übermorgen mein Verleger nicht ersparen wird, mein schriftstellerisches Handwerk zu überschätzen; schriftstellerischer Größenwahn, jeglicher Größenwahn überhaupt ist ganz und gar nicht meine Sache, aber dies halte ich doch für genial: sie sind in Lyon Part Dieu tatsächlich ausgestiegen! Alle beide! Anoraks angezogen, draußen ist der Nebel fisselig geworden, beim Blick auf den Bahnsteig oktoberlich gefröstelt, Rucksäcke aufgesetzt. Gleich stehen sie auf dem Bahnsteig und suchen die Abfahrtstafel, Anschluß Gleis drei.
    Zumindest ein Trumpf, den ich aus der Tasche ziehen werde, wenn mein Verleger auf die Personenführung, meine angeblich mangelnde Gewalt über meine Leute zu sprechen kommt, meine angebliche Unfähigkeit; sie zum Aussteigen in Lyon Part Dieu zu bewegen, wenn dieses Aussteigen für den Fortgang der Handlung erforderlich ist.
    Wir sitzen, mein Verleger und ich, wie immer bei diesen Gesprächen, am Winterfeldtplatz, draußen fahren Kinder mit Skateboards, der Verleger beobachtet, ob ich unter der Wucht seiner Argumente noch wage, die ägyptischen Bohnen weiterzuessen, die ich am Winterfeldtplatz immer bestelle; seine Personenführung, im Gegensatz leider zu meiner, ist ausgezeichnet, irgendwann bin ich entwaffnet und lege mutlos den Löffel beiseite. Aber morgen, anstatt den Löffel beiseite zu legen, werde ich meinen Trumpf aus der Tasche ziehen, und es ist an ihm zu staunen, weil er mich unterschätzt hat und mir weder Personenführung noch einen Mord zutraut. Ich sage, Sie hören wohl keine Nachrichten, was?, weil ich polizeilich gesucht werde wegen der Viszman-Sache.
    Die Naturparkinspektorin mir gegenüber ist eingedöst, nachdem sich alle einig darüber waren, daß es das Fernsehen ist, weshalb Kinder heute immer so schlechte Laune haben, aber gegen das Fernsehen ist nichts zu machen; der Zug fährt durch nasses Grau, keine Weinernte zu erkennen, Viszman tut so, als ob mein Rock knöchellang wäre, er liest Diderot. Eine Plastiktüte mit Mandarinenschalen und Yoghurtbechern liegt unterm Sitz, und die beiden Männer gehen die Ergebnisse der letzten Tischtennisturniere durch.
    Seine Schuhe passen nicht zum Rest von Viszman. Sie haben eindeutig etwas Rührendes. Geputzt sind sie auch nicht, aber es ist nicht das Ungeputzte, weshalb sie rührend sind; zudem sind sie alt und schon einigermaßen farblos, auch das nicht eigentlich rührend, aber während Viszman über Tahiti liest, sehe ich seine Schuhe irgendwo ohne ihn stehen, vor einem Sessel, vor einem Bett, vor einer Tür, irgendwo ausgezogen, wo sie hingehören. Viszman sehe ich nicht. Nur seine Schuhe.
    Es ist sehr viel leichter, jemanden umzubringen, dessen Schuhe nicht so rühren, sondern nach Geld und Schick und Schuhladen aussehen, nach Schuhlöffel sozusagen, um in die Schuhe hineinzusteigen. Schuhe sind Rangabzeichen, hat meine Mutter mir beigebracht: bei einem Mann immer zuerst auf die Schuhe schauen, hat sie mir immer geraten, Schuhe und Hände sowie die Armgelenke eines Menschen mit der dazugehörigen Uhr daran sagen über den Menschen viel aus, besonders bei einem Mann, hat sie mir eingeschärft. Meine Mutter würde einen Träger solcher Schuhe, wie Viszman sie anhat, glatt übersehen, einfach nicht kennen wollen, wenn nicht sogar ausdrücklich meiden, dazu das demonstrative Fehlen der Uhr und der Uhrenmarke an der Uhr, von der Krawatte zu schweigen; sie würde den Kopf schütteln, wenn ich ihr mit Rührung käme wegen der offenkundigen Vernachlässigung des Schuhwerks. Natürlich kann jemand, der sich mit Diderot beschäftigt – eine konsequente Beschäftigung übrigens für einen Ex-Trotzkisten –, sich nicht um seine Schuhe kümmern: für jeden Diderot-Leser können Schuhe nichts anderes sein als reine Gebrauchsgegenstände, Schuhe haben so lange getragen zu werden, bis die Sohlen entzwei sind; das Tragen der Schuhe, bis die Sohlen durch sind, ist im

Weitere Kostenlose Bücher