Ich will meinen Mord
gesucht werde. Plötzlich duzt er mich. Wir haben uns wegen seiner Bedenken immer gesiezt, weil es leichter ist, einer schlecht verkäuflichen Schriftstellerin bei Gelegenheit einmal das Handwerk zu legen, wenn man »Sie« zu ihr sagt und ihr »Sie«-sagend beibringen kann, daß ihr konsequenter Antikapitalismus auf der Basis von Diderot ein kostspieliger Luxus für einen Verleger ist, der sich einen solchen Luxus zwar sehr gern leisten würde, aber um ihn sich leisten zu können, müßte er hin und wieder ein Buch verkaufen. Er findet es lächerlich, wenn ich ihn auf die vier der fünf Kritiker europäischer Kultur aufmerksam mache, die sich nicht nur konsequenten Antikapitalismus, sondern auch meine Bücher leisten können, Zahlen, sagt der Verleger, Ihre Verkaufszahlen. Morgen abend ist von betrüblichen Verkaufszahlen nicht mehr die Rede, sondern von Mord.
I ch müßte Barbagelata in Mâcon einsteigen lassen, er könnte bis Dijon fahren und dort umsteigen, um in Konstanz seinen Strohmann zu treffen, aber solche Leute haben natürlich ihren Volvo und für Dienstreisen einen Chauffeur. Es ist ein Jammer, weil Barbagelata eine Krawatte trägt, die für einen Mord geeignet wäre. Und immerhin wären wir zu zweit, Viszman und ich, einer hält ihn fest, der andere zieht zu. Wenn mir schlecht wird, weil ich nicht einmal Barbagelatas Gesicht ansehen kann nach der Tat, erinnert Viszman mich an Tahiti und die Nationalparks. Die Inspektoren werden die Tat zwar nicht billigen, aber schweigen, weil die Erledigung Barbagelatas immerhin ein Beitrag zur Verhinderung der Klimakatastrophe ist, die schon kurz hinter Villefranche anfängt: keine Weinernte, nur Wasser. Überall Wasser. Von oben runter und schräg gegen die Fensterscheiben. Manchmal streckt ein einzelner Baum seinen Kopf aus dem dunklen Wasser.
Die Schweizerinnen allerdings würden bezeugen, den Satz gehört zu haben: Wählen Sie, Viszman, der vor dem Hintergrund des Mordes an Barbagelata vieldeutig nach Komplizenschaft klingt, wobei das Gericht seine Zweifel an der Ehrlichkeit dieser Schweizerinnen hätte, sobald das Photo aus Avignon als Beweismittel auf dem Tisch liegt: Doro und ihre pseudobiedere Freundin, als Touristinnen verkleidet, am Nebentisch das berüchtigte Opfer, noch dazu vor dem Papstpalast, Symbol für die finsterste Inquisition, Zentrum der Gegenaufklärung, Zentrum der Zerstörung Europas, Zentrum der Gegnerschaft diderotscher Kulturkritik; klar, daß sie Viszman und mich hinter Gitter bringen will, diese Doro mit ihrer Scheinheiligkeit, immerhin im Besitz eines Klappmessers, mit dem sie zur Irreführung des Gerichts einer Organistin in der Pestalozzi-Stadt Yverdon zwei Sommerreifen zersticht, um von ihrer Verbindung zu Barbagelatas Strohmann abzulenken, der nach dessen Tod natürlich hochgehen wird, wenn man die Täter nicht zum Schweigen bringt.
Während es meinem Verleger egal ist, wen ich ausschalte, wird es unseren Verteidiger freuen. Wir nehmen natürlich beide denselben Verteidiger, der sogleich begeistert ist, daß Viszman keineswegs seine Mandantin vergewaltigt hat, obwohl die Notwehrstrategie raffiniert gewesen wäre, das gebe ich zu, hätte ich ihm nicht mit meinem Minirock einen Strich durch die Rechnung gemacht; Sexualdelikte sind an und für sich eine glänzende Sache, für die sich die Anschaffung einer Armani-Brille jedenfalls lohnt, allerdings sind sie in letzter Zeit ein klein wenig inflationär geworden, findet der Anwalt, die Öffentlichkeit fängt langsam an zu gähnen, wenn wieder ein Sexualdelikt mit und ohne Notwehr und Todesfolge vor Gericht kommt, ob minderjährig oder nicht, nur die Frauenorganisationen interessieren sich noch dafür. Zwar hätte man ohne den Minirock leicht gewinnen können, sogar gegen die Presse hätte man sich durchgesetzt, der, wie gesagt, die Sexualdelikte auch schon zum Halse raushängen, aber Mord an internationalem Waffenschieber, mafioses Geschehen in Martigues von zwei Radikalindividualisten an den Tag gebracht, das gefällt ihm natürlich, vor allem wenn ich ihm auf der Landkarte zeige, wie nah Martigues bei Marseille liegt, so nah, daß man sagen könnte, ein Vorort. Kampf gegen die internationale Korruptionsliga mit Hauptfiliale Marseille, das wird es dem Anwalt ermöglichen, die überfällige Armani-Brille vor seiner Frau als sinnvolle Investition auszugeben, und daß es eine sein wird, eine sinnvolle Investition, das können wir ihm versichern, Viszman und ich, obwohl wir auch ohne Brille
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