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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Geldes auf die Bank getragen, Credit Lyonnais Marseille, die andere Hälfte spekuliert für sie ein Agent an der Börse, der hat ihr auch den Dow-Jones-Index beigebracht, den sie parat hat und auswendig kann wie die beiden Inspektoren ihre Tischtennisturniere.
    Das hat mir Sylvie selbst erzählt, als sie aus Martigues zurückkam, die Mutter der Kleinen: wir sitzen wie immer auf der Esplanade in Montpellier, Sylvie und ich, gerade noch einen Platz gekriegt, bevor die Kongreßleute mit den Namensschildern am dunkelroten Jackett über die Pavillons herfallen, und dann ist der Pot-a-feu alle, bevor wir eine Chance hatten, aber wir sitzen, und Sylvie sagt, grauenvoll. Was? sage ich, weil die Sonne scheint, obwohl es schon Mitte Oktober ist. Ein Kleinkind ist gerade in den Springbrunnen gefallen, herausgezogen worden, und gleich fällt es noch mal hinein, bevor es klatschnaß auf ein Pony gesetzt wird. Schwimmen und Reiten auf einmal. Also was soll jetzt grauenvoll sein?
    Der Typ. Martigues. Drei Tage lang Mistral. Die Villa. Alles. Vor allem der Typ. Ein Wind zum Kopfschmerzenkriegen. Länger als drei Tage hält das da keiner aus. Ungefähr unser Alter, der Typ, Kohle ohne Ende und sonst nichts dran. Dreck am Stecken. Soviel ist sicher. Ich hab ihr die Telefonnummer von Robert gegeben. Robert kennt sich aus mit so Sachen.
    Was für Sachen?
    Wertpapiere und so.
    Was für ein Robert?
    Das Fleisch war zäher als sonst, die Kongreßleute standen ungeduldig vor den Pavillons und warteten auf freiwerdende Plätze, also habe ich nicht weiter nach dem Typ gefragt. Sonst hätte ich gleich gewußt, daß Sylvies Tochter die Kleine von Barbagelata ist, ich hätte Sylvie gewarnt und ihr geraten, sie für eine Zeit aus Martigues rauszuholen, weil wir Barbagelata umbringen werden. Die Kleine ist natürlich verdächtig. Sobald man ihre Konten und Wertpapiere überprüft, kommt sie unweigerlich in Verdacht.
    Angesichts des Weltuntergangs im Burgund draußen erklären sich die Inspektoren im Abteil für außerstande, irgendwelche Nationalparks und Naturschutzgebiete zu inspizieren. Ich halte das Unwetter für einen nationalen Anschlag auf das Eindringen des Rousseauismus in die staatliche Bürokratie, indem man alle drei Inspektoren mutwillig daran hindert, begradigte Flüsse und trockengelegte Sümpfe zu inspizieren, überhaupt Flüsse und Sümpfe zu finden im gesamtnationalen, wenn nicht europäischen Totalschlamm, dem indes der Hauptschuldige bislang entkommen zu sein scheint.
    Scheint!
    Da steht er nämlich mit dem Muskelprotz von Body-guard und Ex-Chauffeur auf dem Bahnsteig, bis unter die Zähne bewaffnet, und wartet auf den Zug nach Dijon. Als wir durchfahren, langsam, wie es sich gehört, um den Mäusen auf den Gleisen Gelegenheit zu geben, sich unter die Erde zu retten, sehe ich ihre dummen Gesichter.
    Der Zug hält heute nicht in Mâcon!
    Dies nicht etwa wegen meiner mangelhaften schriftstellerischen Personen- und Zugführung, ganz und gar nicht, sondern er fährt heute ausnahmsweise einmal durch, weil mir angesichts des Riesen neben Barbagelata mulmig wird: das Risiko, daß Viszman etwas passiert und ich Europa allein retten muß, ist mir, ehrlich gesagt, zu groß. Sichtbarlich treibt Viszman keinerlei Muskelsport und ist anderthalb Köpfe kleiner als dieses Monster von einem Leibwächter, der ihn leicht umhusten könnte.
    Viszman selbst fürchtet sich offenbar gar nicht. Er fürchtet sich so wenig, daß er es gelassen verschmäht, beim Durchfahren des Bahnhofs von Mâcon überhaupt aus dem Fenster zu schauen und sich seine Opfer mit ihren leeren Gesichtern anzusehen. Selbst wenn er den Riesen gesehen hätte, wäre er furchtlos, nehme ich an.
    So wie er vorhin gefragt hat: Vous avez l’heure, Monsieur, muß man Furchtlosigkeit und Souveränität annehmen. Seiner selbst und seiner gesammelten Lebenserfahrung gewiß, hat ein Diderot-Kenner und Kritiker der Zerstörung Europas, der sich seit Jahren (seit er nämlich dem Trotzkismus abgeschworen hat, dieser Jugendsünde) in der Minderheit weiß – umzingelt gleichsam von blanken Schuhen und Uhrwerken allüberall –, hat also ein Einzelkämpfer für den Naturzustand nach der Uhrzeit gefragt, die er doch ablehnt; eine politische Frage selbstverständlich, die Frage selbst eine Losung; das Ergebnis der Befragung wie erwartet: der Rousseauismus hat sich durch Bürokratie korrumpieren lassen.
    Daher die Müdigkeit um die Augen. Lebenserfahrung. Einsamkeit. Furcht hingegen und

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