Ich will meinen Mord
klar sehen, worum es ihm geht: unser Verteidiger erzählt uns im Vertrauen, daß er in seiner Jugend Mitglied einer maoistischen Partei war, später wegen parteiinterner Intrigen Zwangsaustritt, Studium bei sogenannten Verfassungsfeinden, keine Demonstration ausgelassen; leider zur Zeit der entscheidenden politischen Verfahren noch immer im Studium und mit der leidigen Straßenverkehrsordnung befaßt, als Ex-Maoist selbstredend nie das Zivilrecht begriffen, Buch mit sieben Siegeln, das bürgerliche Gesetz, kurz: kaum hatte er sein Examen, war die Zeit der politischen Kämpfe vorbei, folglich Frustration, Ehe trotz entschlossener frühester Ablehnung dieser Institution, bis heute komplette Unfähigkeit, das Erbrecht zu begreifen, all das erzählt der Verteidiger uns, als wollte er sich entschuldigen, daß nicht er Barbagelata getötet hat, aber natürlich brauchen wir nur auf die Schuhe zu schauen, um zu wissen, daß er auch eine Uhr unterm Ärmel seines Pullovers hat und gegebenenfalls Barbagelata auch gegen Diderot höchstpersönlich verteidigt hätte, um die Armani-Brille bei seiner Frau durchzusetzen, die aus den Zeiten des Studiums und der anschließenden kleinen Fische noch gewohnt ist, aufs Geld zu schauen.
D ie Inspektorin schläft jetzt tief, Viszman liest über Tahiti, das Buch hält er mit der linken Hand.
Für den Fall, daß Barbagelata in Mâcon nicht einsteigt, sondern die Frechheit besitzt, eine nachweislich von ihm wenn nicht verursachte, so doch drahtzieherisch weltweit geförderte Klimakatastrophe mit seinem Volvo und einem Chauffeur zu durchfahren, zu durchschiffen vielmehr, wie man nach einem Blick aus dem Zug annehmen muß, wird man sehen müssen, wie man ihn dennoch zu fassen kriegt.
Ein Mord an Viszman hieße, die Minderheit konsequenter Diderot-Leser empfindlich zu schwächen. Das nicht! Viszman und ich ziehen am selben Strang, und die Geschichte ist voller Beispiele dafür, wie sehr es politischen Zielen schadet, wenn man sie aus den Augen verliert und ausgerechnet jene, die am selben Strang ziehen, erledigt und die eigenen Leute ermordet und liquidiert: Barbagelata, dieser gewissenlose Hasardeur und Profiteur, bleibt am Leben, reibt sich die Hände und sahnt ab.
Rein geschäftlich gesehen, bringt es mich nicht in den Verdacht, Diderot und dem konsequenten Antikapitalismus untreu zu werden, wenn ich mir sage, daß es nicht vernünftig sein kann, durch einen Mord an Viszman meine Leserschaft um ein volles Viertel zu reduzieren, selbst wenn mein Verleger mir morgen abend mit leuchtenden Augen eine Vervielfachung meiner Leserschaft ankündigen wird, indem er von mindestens zwei, drei Fällen berichtet, in denen ein Mordfall ein unerhört wirksames Mittel zur schriftstellerischen Qualitätssteigerung gewesen sei, überhaupt: alles Zweit-, sogar Drittklassige sei durch nichts besser als durch einen Mord in Erstklassiges zu verwandeln, sagt der Verleger und kann Namen und Zahlen nennen.
Mir ist es unangenehm, daß mein Verleger nur an Mord denkt, den Mord an sich und die dank des Mordes steigenden Verkaufszahlen. Ich sage, hören Sie (natürlich bleibe ich beim »Sie«, das der Verleger indessen überhört), es ist eben nicht das gleiche, ob ich Viszman mit einem Schlag auf den Hinterkopf töte wie ein elender KGB -Attentäter oder ob ich mit Viszman gemeinsam der internationalen Korruption radikalindividualistisch den Kampf ansage; aber, wie gesagt: schriftstellerische Ehre interessiert ihn nicht, der Mangel an schriftstellerischem Handwerk, den er beklagt, ist vollauf kompensiert durch den Mord.
Während unseres Gesprächs sitzt Viszman schweigend, mit zum Glück völlig intaktem Kopf dabei und macht sich ein Bild von einem Verleger, den er bisher für integer hielt, da er meine Bücher publiziert hat (Viszman stellt ein Viertel meiner Leserschaft, woraus hervorgeht: seine Sprachkenntnisse, mindestens passive Kenntnisse der deutschen Sprache sind beachtlich; daß er an unserem Gespräch nicht teilnimmt, liegt an seiner bekannten männlichen Wortkargheit); blitzblank indessen kündet das überteuerte verlegerische Schuhwerk davon, daß der Mann sich und mich bedenkenlos den Medien ausliefern wird.
Im Grunde wäre meinem Verleger Mord aus Leidenschaft lieber, aber er nimmt es, wie es kommt, Hauptsache eine Leiche.
Vous avez l’heure, Monsieur? sagt Viszman. Er hat sich an den älteren der beiden Inspektoren gewandt, weil ihm klar ist, daß ich keine Uhr trage, nicht einmal eine Uhr besitze,
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