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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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abgesehen von einem Reisewecker in meiner Tasche, der ein Geschenk meiner Großmutter aus Zeitz ist, der Enkelin mit lieben Wünschen für die Zukunft zu ihrer Konfirmation; abgesehen von diesem Kleinstwecker lehne ich Uhren ebenso konsequent ab wie Viszman, der an meinem Schuhwerk natürlich längst erkannt hat, daß ein Fünftel der europäischen Kulturkritik und Uhrenverweigerer in seinem Abteil sitzt; daher richtet er listig die Frage nach der Uhrzeit an den Vertreter des Alibi-Rousseauismus, der sich arglos selbst kompromittiert mit seiner Antwort. Treize heures moins douze.
    Merci, sagt Viszman, und schon sucht sein Blick meine Augen, selbstverständlich ohne Umweg über meine Beine in ihren schwarzen Strümpfen, Blick gegen Blick: bei aller Verschwiegenheit ein unverhohlener Verschwörerblick, Einverständnis in der Verachtung nicht nur der Zeit, der zerhackten, die uns beide nichts angeht; verstümmelt und gerastert liegt die Zeit auf den Leben der Uhrenbesitzer, das Uhrendiktat verwüstet unmerklich die Leben, vernichtet die Leben und bringt die Uhrenbesitzer schließlich zeittaktig um die Ecke; dagegen unverhohlenes Einverständnis in meinem Blick. Kein Erröten meinerseits diesmal, da von unernster Frivolität keine Rede sein kann zwischen uns, es geht um den Naturzustand, den ein verwässerter Rousseauismus feige verschweigt, indem er die Sümpfe behördenintern versickern, folglich vertrocknen läßt, es geht um die Wiederherstellung des Naturzustands auf Tahiti.
    Monsieur Barbagelatas Volvo mitsamt Chauffeur hat gegen die Sintflut nichts ausrichten können. Die Saône ist als Saône nicht mehr dort, wo sie sonst ist, sondern, soweit man sieht, überall, die Saône geht in die Moselle über, die Moselle in den Rhein, in die Donau, flächendeckend, Straßen sind untergegangen, versunken, von Straßensperrung kann keine Rede sein, weil von Straßen und Weinernte keine Rede sein kann, ein Jammer um den diesjährigen Burgunder, hier und da schwimmt ein Hüttendach auf der Flut, Monsieur Barbagelata hätte seinen Volvo beizeiten umbauen sollen in ein Amphibienfahrzeug, um den Folgen seines antieuropäischen Tuns zu entkommen; sein Chauffeur hat sein Bestes gewollt und gegeben, aber wo keine Autobahn ist, versagt der Wille des besten Chauffeurs. In Tournus haben sie aufgeben müssen, überall stehen Lastwagen quer in der Pampe, der Verkehrsfunk spricht vom Einsatz des Militärs. Also umkehren. Schließlich haben sie pünktlich Mâcon erreicht. Den Volvo einbruchssicher in der Tiefgarage geparkt, aus derselben Tiefgarage per Mobiltelefon den Strohmann auf dem laufenden gehalten. Insbesondere über den Militäreinsatz.
    Die Kleine in Martigues muß nicht angerufen werden, weil sie demnächst einundzwanzig ist und ersetzt wird durch eine neue. Die Sonnencreme und die Kreolenohrringe und noch ein paar andere Preziosen kann sie behalten.
    Da stehen sie. SNCF . Gare de Mâcon. Unauffällig bewaffnet, der Chauffeur eins neunzig, breit wie ein Riese, Body-guard.
    Der Kleinen wäre es auch gar nicht recht, jetzt angerufen zu werden. Sie lackiert sich soeben die Fingernägel giftgrün, was sie immer macht, wenn Monsieur ein paar Tage verreist, und sie kann es nicht leiden, den Telefonhörer mit frisch lackierten und noch nicht getrockneten Fingernägeln zu halten, weil sie damit unweigerlich in die Haare gerät, und dann kann sie noch mal von vorn anfangen mit der Lackiererei, die Haare haben grüne Lacksträhnen und müssen mit Nagellackentferner entgrünt und dann frisch gewaschen werden, weil der Nagellackentferner so stinkt.
    Die Kleine wird nichts dagegen haben, wenn sie ersetzt wird. Sie langweilt sich in Martigues. Barbagelata hat weder sichtbare noch unsichtbare Vorzüge, er ist einfach nur machtbesessen, folglich hat er sie auch im Bett noch nie auf die Idee gebracht, daß da was dran sei, was nur halbwegs die Sache lohnt. Sie wird noch drauf kommen, aber erst Jahre später, im Augenblick hat sie es satt, zur Dekoration hier herumzulungern, das Grüne auf den Fingernägeln ist sozusagen Protest, wenngleich Protest in Maßen, da der grüne Protest zwar grün, aber lackförmig ist. Trotzdem: wenn Barbagelata das sehen würde, könnte sie gleich ihre Koffer packen. Es wäre ihr recht. Martigues stinkt ihr. Martigues im Oktober besonders, mit den Rentnern und mittelalterlichen Holländerpaaren. Die Preziosen des Barbagelata hat sie, wie ihr die Mutter geraten hat, großenteils flüssig gemacht und die Hälfte des

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