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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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nicht nur mit Noten so umgeht, eine Nachlässigkeit, eine Handwerkszeugschändung kommt doch wahrscheinlich nicht allein, und siehe da: eines Sonntags beißt er auf Reste von Apfelgehäuse in einem Apfelkuchen, den sie am Freitag abend gebacken hat, in Bern seine Frau hat Apfelkuchen immer ohne Spelzen gebacken, eine Frage der Sorgfalt beim Apfelaushöhlen; und schon in der Woche darauf ist ein ehemals weißes Tennishemd nicht mehr weiß, sondern hellblau, nicht blau natürlich, aber mit diesem hellblauen Schimmer, der verkündet, daß in seinem vorehelichen Haushalt in Yverdon ein Paar Bluejeans und ein weißes Tennishemd gemeinsam in einer Maschine gelegen haben; die Verteidigung seiner künftigen Frau überzeugt nicht: natürlich ist es dem Tennisverein Yverdon egal, ob einer im weißen Hemd erscheint, aber darum geht es jetzt nicht; natürlich ist die Kleiderordnung auf Tennisplätzen seit Jahren gelockert, im Grunde hätte er längst seinen Tick mit dem Tennis-Weiß aufgeben können, merkt er denn nicht, daß er selbst fast der einzige ist, der noch in Weiß spielt, in Bern mag das üblich gewesen sein, aber in Yverdon, wie gesagt, nimmt man es nicht so wichtig. Das tröstet nicht, weil es nicht um die Kleiderordnung geht, sondern um Nachlässigkeit; auch ist der spitze Ton gegen Bern völlig unangemessen, endgültig aufgebracht ist der Restaurator jedoch durch den pikierten Hinweis, es gäbe Männer, die könnten ihre Hemden auch selber waschen, sogar von bügelfähigen Männern habe man in und um Yverdon schon gehört. Vulgärfeminismus hatte er von seiner künftigen Frau nicht auch noch erwartet, die Schokoladenflecken in einem Buch über lombardische Baudenkmäler können ihn schließlich auch nicht mehr überraschen, sie erbittern ihn darum nicht minder; sein anfängliches Zusammenzucken weicht einem sachten Widerwillen, einem leisen Abscheu, späterhin Anflüge von deutlichem Ekel, körperlich: der Geruch nämlich, zuerst der Geruch; warum hat er den vorher nicht wahrgenommen. Jetzt überdeutlich. Überdeutlich auch die Erinnerung an einen berner Wohlgeruch, nicht der Geruch selbst ist erinnerlich, weil man Geruch nicht erinnert, wohl aber der Name dieses Geruchs, der jedoch, probeweise auf eine Organistin angewendet, an dieser versagt und sich völlig anders benimmt als an Doro, wo er lieblich war, während er hier innerhalb einer Stunde seine Kostbarkeit aufgibt an diesem Irrtum, der da am Klavier sitzt und mit Vierfarbenkuli Fingersätze umschreibt, und nicht mal die Haare gewaschen. Aus Orgelkonzerten, wie gesagt, macht er sich nichts. Unter dem Vorwand, die Organistin zum siebzigsten Geburtstag seines bozener Vaters nicht gut mitnehmen zu können, solange die Scheidung noch nicht durch ist, weil das die Sache nur weiter verschleppt, fährt er eines Tages nach Bern. Mit der Kirche in Yverdon ist er bald fertig. Doro hat diese neue Kurzhaarfrisur und sieht wunderbar aus, weil alle Frauen anfangen, wunderbar auszusehen, sobald sie Hemden und Jeans wieder in eine Maschine tun dürfen und niemand sich über Apfelspelzen beschwert außer den eigenen Kindern, die sich aber sowieso immer über alles beschweren, am besten, man stellt ihnen Cornflakes auf den Tisch und hört dann einfach nicht hin; Doros Pyrenäenerholung hat sich sehr gut gehalten, sie selbst hat sich gut gehalten, und sie duftet nach dem Namen dieses Geruchs, die reinste Verführung, selbst wenn man mit ihr verheiratet ist; sie macht keine Flecken in seine lombardischen Baudenkmäler, sondern vernünftige Anmerkungen, an ihr ist eine Archäologin verlorengegangen, nicht aber eine Frau. Dem Restaurator fällt auf, daß das Leben eine Summe von Gewohnheiten ist, nicht von Anfang an natürlich, aber so ab der Mitte; zu Hause ist, wo man den Lichtschalter im Dunkeln findet, und das Zusammenleben ist sowieso eine Summe von Gewohnheiten, das Zusammenleben und Zusammenwachsen, er kommt ins Vergleichen.
    Wenn ich Viszman davon erzähle, daß es Haushalte gibt, in denen lombardische Denkmäler schokoladenfleckfrei zu sein haben und Organistinnen die gedruckten Fingersätze nach Vorschrift ausführen müssen, wird er es schlicht nicht fassen, und wir werden noch einen Kir bestellen, um die verschiedenen Leseverfahren zu erörtern. Viszman hat die besten Erfahrungen mit Büroklammern gemacht, was uns erneut feststellen läßt, daß wir nicht verschiedene Leseverfahren haben, sondern genau dieselben, tatsächlich: zwei Menschen an zwei verschiedenen

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