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Ich will meinen Mord

Ich will meinen Mord

Titel: Ich will meinen Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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sobald das Kind seine neue Plombe (diesmal nicht Amalgam, obwohl der Zahnarzt nicht glaubt, daß es giftig ist, aber wenn er weiter mit Amalgam füllt, bleiben ihm die Patienten weg) im Mund hat, bringt die Mutter und Chefin die Buchhaltung wieder auf Trab und geht zum Friseur: Kastanie. Die erloschene Ehe hat den Vorteil, daß man sich ums Geschäft kümmern kann, eine solide Schlußfolgerung aus der Unwetterkatastrophe wird gezogen, Tiefkühlgemüse en gros, erfordert aber gewaltige Investitionen an Kühlanlagen, Personalkosten dann allerdings minimal, die Tatkraft seiner Frau gefällt einem Obst- und Gemüsegroßhändler, der sie manchmal beobachtet, wenn sie im Garten die Dahlien rausnimmt und mit den Kindern am Abend lernt, weil die Kinder natürlich nicht von alleine lernen, und es will ihm so vorkommen, als ob sich mit seiner Frau etwas getan hat, eine Verwandlung, er kommt nicht dahinter, daß es die Haare sind, vielleicht sind es auch nicht die Haare, er hätte Lust, sie zu fragen, ob sie nicht nächsten Sommer einmal zu zweit wegfahren, die Schwiegermutter kann ihre Hysterie an den Kindern austoben, und wir beide einfach mal weg für zehn Tage; die Vorstellung, mit seiner eigenen Frau allein zu verreisen, am Ende in dieses Martigues, wo es im Grunde ganz schön war, langweilig, aber schön, kommt ihm komisch vor, und es käme ihm komisch vor, seine Frau so etwas zu fragen, aber Lust hätte er schon. Vielleicht fragt er sie Anfang des Jahres, wenn die Feiertage und nachher die Inventur überstanden sind und sie aufatmet nach dem Streß, es ist die beste Zeit, um an den Sommer zu denken.
    Dann fragt er doch nicht, weil er Anfang des Jahres den Unfall gehabt haben wird, ihm ist nichts passiert, aber der Audi ist hin, Anfang Januar, Glatteis, natürlich ist er nur vierzig gefahren, weil er gemerkt hat, es rutscht, aber bei Glatteis hätte er lieber das Auto gleich in der Garage gelassen, es hat ihn im Kreisel gedreht, er ist in die Leitplanke gerutscht und mit dem Schrecken davongekommen, aber von Urlaub im Sommer kann endgültig nicht die Rede sein bei den vielen Krediten für die neuen Kühlhäuser, und jetzt noch ein neuer Wagen. Schließlich kann er keinen gebrauchten kaufen. Nicht mal sein Prokurist kauft gebrauchte Wagen.
    Viszman sagt, kalt hier, und legt sich den grünen Mantel um. Ich höre die Anspielung auf Tahiti, auf die Wärme, die zwischen Menschen möglich gewesen sein muß oder wieder möglich sein könnte, aber ich antworte nicht. Ich bin noch böse mit Viszman, weil er mich in seine Angelegenheiten in Besançon hineingezogen hat mit der Ausrede, die er sich ausdenkt, während ich zusehe. Mit mir bin ich auch böse. Sehr. Wenn ich mit einem wildfremden Mann, bloß weil er Eselsohren beim Lesen macht, seine Schuhe nicht putzt, vielleicht ist seine Armbanduhr nur bei der Reparatur, umstandslos in ein Hotelzimmer gehe, noch dazu in Metz, finde ich das bedenklich, aber meinetwegen dürfen auch besonnene Frauen von Zeit zu Zeit den Verstand verlieren, hinzu kam schließlich das kulturkritische Moment und die Aussicht, zu zweit Monsieur Barbagelata und die Obdachlosigkeit zu bekämpfen sowie meinem Verleger einen Mord präsentieren zu können und einem kleinen Anwalt einen großen Prozeß zu verschaffen mitsamt der entsprechenden Brille. All dies rechtfertigt eine einmalige Entgleisung, aber nicht das freizügige Angebot, am nächsten Freitag erneut über Metz zu fahren, wo selbstverständlich die Beglückung darüber, daß ein weiterer Mensch seine Bücher mit Büroklammern malträtiert, schwindet, weil zweite Hotelzimmer nicht erste Hotelzimmer sind, sondern plötzlich Gepäck enthalten, sogar Fernseher, in dritten und vierten gehören Fernseher einfach dazu, ihr Fehlen ist Grund zu Reklamation und schlechter Laune, weil weder die Entwicklung in Rußland noch die Kommunalwahlen, noch ein bedeutendes Tennisturnier einfach angehalten werden, bloß weil man ein Formular an der Rezeption ausfüllt, das könnte einem so passen; dazu sind zweite Hotelzimmer häßlicher als erste, und mit dem dritten und vierten werden sie immer häßlicher, die Zeit läßt sich nur einmal anhalten: in einem ersten und einzigen Hotelzimmer nämlich, schon ins zweite Hotelzimmer fällt sie ein, ein Überfall von Zeit in einem häßlichen zweiten Hotelzimmer weckt den Wunsch nach Information: die Entwicklung in Rußland, das Tennisturnier, von Hotelzimmer zu Hotelzimmer verkürzt sich die Zeit, schon dritte und vierte

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