Ich will meinen Mord
haben; mir ist vor Subversion etwas schwer im Magen, vor Gefährlichkeit oder vor Pizza, ich frage mich, was Diderot von der Pizza gehalten hätte, die wir in der Fußgängerzone in Metz anstelle der Speisekarte eines zwar lothringischen, aber nach wie vor verschwundenen Restaurants zu uns genommen haben, ganz in der Nähe der Attrappe, deren Rochenflügel zu erwähnen ich mich hüte, damit mir nicht rückwirkend noch eine Fischvergiftung bewußt wird, die ich seinerzeit unbemerkt durchgemacht haben muß. Von Pizzavergiftung hat man noch nie gehört.
Was tun zwei letzte Tahitianer, wenn die Zeit wieder einsetzt? Sie gehen frühstücken, rühren im Milchkaffee, Viszman begeht einen fatalen taktischen Fehler und behauptet, verliebt zu sein, was ich ohne weiteres glauben muß, da es für einen Mann sicher nicht leicht sein dürfte, in doch ziemlich fortgeschrittenem Alter endlich einmal außerberuflich einen ersten Menschen zu treffen, dazu eine Frau (die auffallende Frauenlosigkeit in Viszmans Erzählungen ähnelt der Männerlosigkeit, von der mein bisheriges Leben erfüllt ist), eine erste Frau also und Diderot-Kennerin so spät im Leben endlich zu treffen und sich dann nicht zu verlieben. Ich muß es glauben, ebenso wie ich glauben muß, daß dem Menschen im Naturzustand ein intuitiver Zugang zu europäischer Damenober- und -unterbekleidung angeboren ist, es gibt da ein Know-how, das nicht vom Leben erworben wird, sondern das unschuldig immer schon wartet in einem liebesbegabten Mann, in dessen Leben nur eben zufällig nie eine Frau und Diderot-Leserin und Eselsohren-Knifferin getreten ist, weshalb er natürlich – seit gestern vom lebenslänglichen Zölibat befreit – erneut in Melancholie versinken wird, wenn seine soeben erst entdeckte Begabung alsbald wieder brachgelegt wird, weil ich heute abend am Winterfeldtplatz ägyptische Bohnen esse.
Das alles glaube ich ohne weiteres, schon weil meine Lage aufs Haar dieselbe ist, weshalb ich einen schweren taktischen Fehler begehe und bekanntgebe, daß mein Zug in der nächsten Woche wieder über Metz fahren wird, nämlich in umgekehrter Richtung, und wenn Viszman nicht eine seiner Einzelreisen antritt, steht einer erneuten Wiederherstellung des Naturzustands nichts im Wege.
Beide Fehler aufs Konto der Übermüdung, aber verhängnisvoll.
Viszman denkt einen Augenblick nicht ganz sorgenfrei nach innen, er hat drei Bekümmerungsfalten senkrecht zwischen den Augenbrauen, und wenn er eine Uhr hätte, würde er jetzt auf die Uhr schauen, eine sofortige Existenzgründung wäre zweifellos ein geringeres Problem als eine Verabredung auf nächsten Freitag, aber als freier Mensch kann er natürlich keine Einwendungen machen, zumal er leichtfertig gelogen hat, er sei verliebt, er bereut seinen Fehler und denkt, er kann nicht zurück. Ich hätte Lust, meinen Zug nächsten Freitag nicht über Metz fahren zu lassen, es gibt bequeme andere Züge, aber gesagt ist gesagt, es ist mir unangenehm, ich greife nach der Zeitung, um nicht zuzusehen, wie er sich eine Ausrede für Besançon ausdenkt, während ich ihm zusehe; obwohl er diese Ausrede als Diderot-Leser natürlich für überflüssig hält, selbstverständlich; anders als unser Südtiroler ist Viszman nicht nur Ehegegner, sondern – bis gestern allerdings rein theoretisch – von der unseligen Wirkung des europäischen Monogamiegebots (unter Hinweis auf Tahiti und die dortige freie Liebe) überzeugt, weshalb es logisch ist, daß er sich in die Verliebtheit verhaspelt, und jetzt kommt er nicht mehr raus, und er tut mir leid.
Ich biete Rücktritt an, aber zwei schwere Fehler sind nicht rückgängig zu machen, Viszmans Hand, die plötzlich warm auf meiner liegt, ist nur noch ganz schwach elektrisch, aber warm; mir ist fröstelig.
M ir ist nicht fröstelig, sondern kalt. Der Vorhang vor der Gangtür hält den Zugwind nicht ab, in Neufchâteau sind nur ein paar verfrühte Gymnasiasten eingestiegen und fahren ins Wochenende, an dem geschlossenen Vorhangabteil gehen sie vorbei, in Toul steigen sie wieder aus, eine Abendsonne läßt vermuten, daß die Obst- und Gemüsegroßhandlung in Bern jedenfalls nicht ruiniert ist, ein paar Wagenladungen Tomaten sind durch die Verspätung angegammelt, aber es waren sowieso die letzten aus Spanien, und die haben schon im vorigen Jahr Ärger gemacht, weil sie matschig waren, aber sonst kommt die Ware einwandfrei an, die Fahrer fluchen, auch das nichts Neues. Der Verlust ist erträglich, und
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