Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
ihm seinen Mantel und Regenschirm ab.
»Vielen Dank, Mrs P.« Ohne der Frau in die Augen zu sehen, ging er ins Haus hinein, wobei er auf seinem Weg noch die Post von einem Silbertablett auf dem Flurtisch mitnahm. Er hielt einen Augenblick inne, um eine blaue Blumenvase einen Zentimeter nach links zu verrücken, bevor er weiter den Flur entlangging, wobei er beim Gehen über die Schulter zurückrief: »Ich trinke meinen Tee im Büro.«
»Sehr gut, Sir«, kam die Antwort.
Finchs lederbesohlte Schuhe quietschten, als er rasch über den auf Hochglanz polierten Parkettboden durch eine Flügeltür in sein Büro ging. Er setzte sich an den Schreibtisch, musterte sorgfältig dessen Oberfläche und nahm ein paar kleine Berichtigungen an seinen Lieblingsdingen vor: Er rückte ein Foto seiner verstorbenen Frau Beth und ihrer Tochter Jessica ein wenig weiter weg; ein Tintenfass ein wenig näher; seine Federhalter verteilte er gleichmäßiger. Seine Augen glitten über jeden Gegenstand. Dann drehte er die Büroklammern, bis alle vier exakt übereinstimmten. Erst als er restlos zufrieden war, loggte er sich in seinen Computer ein.
Finch verbrachte eine halbe Stunde damit, E-Mails zu lesen und zu beantworten, dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Post zu, die er auf seinem Weg hinein mitgenommen hatte. Er benutzte einen silbernen Brieföffner, den ihm Beth zu ihrem fünften Hochzeitstag geschenkt hatte, um den ersten Umschlag aufzuschneiden, und nahm den Brief heraus, der darin steckte. Die Nachricht war keine gute. Seine Investitionen waren auf einen neuen Tiefstand gefallen. Die jährliche Abrechnung seines Börsenmaklers bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.
Die Rezession war noch immer nicht vorüber.
Finch sah nicht auf, als Mrs Partridge mit seinem Tee hereinkam. Sie stellte Tasse und Untertasse auf einen Untersetzer, wobei sie den Henkel genau so drehte, dass er ihn leicht aufnehmen konnte. Als sie den Raum verließ, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, ein Mann, auf dessen Schultern all die Sorgen der Welt lasteten. In seinem ganzen Leben konnte er sich an kein Jahr erinnern, das so schlimm gewesen war wie dieses.
Ein kleiner brauner Umschlag fiel ihm ins Auge. Er stach aus dem Rest seiner Post hervor, die Adresse war ungeschickt mit einem dicken grünen Filzstift geschrieben. Finch stellte seine Tasse wieder ab und nahm den Umschlag vom Tisch, drehte ihn in seinen Händen, von der kindlichen Handschrift ebenso abgestoßen wie von der blanken Dreistigkeit desjenigen, der ihn geschickt hatte. Wahrscheinlich ein Hiesiger aus Kirby Ayden; ganz sicher niemand, den er kannte.
Finch sträubte sich. Er hatte in den letzten Monaten schon mehrere schlecht durchdachte Bitten um Anstellung auf seinem Anwesen erhalten. Regelrechte Bettelbriefe, die er sofort zerriss, wenn sie kamen. Er wollte mit diesem gerade dasselbe tun, als ihm plötzlich Beths Stimme ins Bewusstsein sprang: »Adam! Sei doch nicht so bösartig … Wir müssen die Einheimischen annehmen, nicht wegstoßen.« Ihr Gesicht strahlte von der Fotografie auf seinem Schreibtisch, ihre Augen neckten ihn. »Deine Vorfahren haben bereits seit hunderten von Jahren Leute aus dem Dorf angestellt. Was kann es denn schaden, etwas Menschlichkeit zu zeigen?«
Unsinn!
Aber Beths Lächeln schien ihm breiter denn je.
Finch seufzte. Er vermisste seine Frau immer noch schrecklich und war seit ihrem Tod vor vielen Jahren zölibatär und nüchtern geblieben. Selbst aus dem Grab heraus konnte sie ihn noch um den kleinen Finger wickeln, ihn dazu überreden, das Richtige zu tun. Und wie immer gab er nach. Er schnitt den Umschlag auf und schüttelte den Inhalt heraus. Er runzelte die Augenbrauen, als ein gezacktes Stück Papier herausfiel und mit der Schriftseite nach unten auf seinem Schreibtisch landete. Er drehte es mit dem Brieföffner um. Was er sah, ließ ihn nach dem Telefon greifen.
5
Detective Chief Superintendent Phillip Bright lag gerade auf den Knien und durchsuchte seinen Papierkorb, als das Telefon klingelte. Er stemmte sich vom Boden hoch und griff nach dem Hörer, wobei er seine neue Sekretärin verfluchte. Ellen war eine temperamentvolle Frau, die sich von niemandem etwas sagen ließ, und ganz besonders nicht von ihm. Sie waren noch kein eingespieltes Team geworden, und er bezweifelte, dass sie es jemals werden würden.
»Hatte ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollten keine Anrufe durchstellen?«, blaffte er.
»Das hatten Sie, aber dieser hier scheint
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