Ich wollte Hosen
Sie berichtete uns von dem Erlebnis, als mein Vater sie einmal am Hafen mit einer Zigarette in der Hand gesehen hatte und darauf bestand, daß sie die brennende Zigarette verschluckte; davon, als mein Opa sie mit jenem Jungen gesehen hatte, der bloß mit ihr geredet hatte, und er sie bestrafen und prügeln mußte, weil ein Freund von ihm dabei war, der es dann meiner Oma berichtete; aber vor allem erzählte sie uns von den beiden Monaten, die sie als Zwanzigjährige bei den Ursulinen verbracht hatte. Eine Schwester meiner Oma, deren fixe Idee die Kirche war, hatte gewollt, daß sie Nonne würde. Die Tante verbrachte diese beiden Monate in tiefer Einsamkeit, weil keiner der Familie sie je besuchen kam. Dann sah sie einen Jungen, in der Kirche. Sie war nicht verliebt in ihn, aber sie glaubte, es zu sein ... Wie soll man auch nicht glauben, verliebt zu sein, wenn einem im Alter von zwanzig ein Junge zum ersten Mal das Gefühl gibt, eine Frau zu sein? Sie trafen sich ein paarmal, bevor die Mutter Oberin sie entdeckte. Sofort wurden meine Großeltern benachrichtigt und kamen sie abholen, sie wollten alles von diesem Jungen wissen, gingen zu ihm und sprachen mit ihm, und etwa drei Monate später wurde Tante Vannina die Signora Amato.
Sie war nicht glücklich, weil sie nicht verliebt war, aber sie war auch nicht unglücklich. Sie nahm es einfach hin, dieses Leben zu leben, das man ihr aufgezwungen hatte. Auf der einen Seite meinte sie, sich mit einer Familie ganz für sich irgendwie befreien zu können.
Nach ein paar Jahren bekam sie Rosanna, und mit dieser ersten Tochter blieb sie immer mehr verbunden, so sehr sie sich auch bemühte, unparteiisch in ihren Gefühlen zu sein. Meine Oma stand ihr während der Entbindung nicht bei, sie kam sie am Tag darauf besuchen. Das erste, was sie sagte, als sie von meinem Onkel die Nachricht erfuhr, war: » Un fustivu bboni mancu a fari un masculu . Nicht einmal einen Sohn habt ihr zustande gebracht.« Als sie dann das Mädchen sah, fand sie: » Moru, cche'e laida! O Gott, ist die häßlich!« Und meine Tante mußte zuerst mit ihrer Tochter Rosanna und später mit Aurelia das schreckliche Gefühl wiedererleben, abgelehnt zu werden, denn meine Oma ergoß ihre Abneigung für die Tochter nun auf deren Töchter und benachteiligte sie gegenüber ihren Cousins und Cousinen. Doch als meine Oma starb, war sie, Tante Vannina, die einzige, die weinte und schrie. Wenn sie von ihrer Mutter spricht, weint meine Tante immer. Und ihre Augen hören nicht auf zu glänzen.
Nachdem ich meine Sachen untergebracht hatte, gingen wir in die Küche, setzten uns hin, und sie zündete sich eine Zigarette an. Das war der einzige Luxus, den sie sich gönnte und auf den sie nie verzichtet hätte: Sie rauchte immer mit einem selbstbewußten und stolzen Gesichtsausdruck, und ich hatte bemerkt, daß sie, wenn mein Vater da war, noch häufiger rauchte, mit noch mehr Genuß, und sie vermied es auch nicht, ihm diesen Rauch ins Gesicht zu blasen. Das war die einzige Revanche, die sie sich herausnahm: Vor seinen Augen rauchen zu können, ohne daß er sich zu versuchen traute, sie die brennende Zigarette runterschlucken zu lassen.
Jetzt war sie ruhig, sie saß mit elegant übereinandergeschlagenen Beinen da und verspottete mich, weil ich nicht rauchen wollte. Sie bot mir an, eine zu probieren, und schien jedesmal beleidigt, wenn ich lächelnd ablehnte.
Vielleicht war das das einzige, was sie mir anbieten konnte, oder vielleicht wollte sie sich mit mir auch verbundener fühlen. Wir waren einander schon ziemlich nahe durch die Ähnlichkeit unserer Erlebnisse, aber die Tante hatte eine gewisse Scheu, ihre Gefühle zu äußern: Sie hatte immer in einer heuchlerischen Welt gelebt, die ihre Gefühle unterdrückte und auf sie zurückwarf, auch wenn sie sie nicht ernüchtern konnte.
Ich sage das alles mit soviel Gewißheit, nicht weil ich einen sechsten Sinn besäße oder so etwas Ähnliches, sondern weil meine Tante an diesem Morgen einen Weg fand, mich enger mit ihr zu verbinden, und das geschah nicht mit einer Zigarette.
Wir sprachen noch von dem, was mir passiert war, und sie fragte mich, was meine Bestrebungen und meine Träume wären; ich antwortete ihr, vorläufig sei mein größter Traum, Hosen anzuziehen.
Sie lächelte, dann sagte sie, ich solle ihr folgen. Sie brachte mich in ihr Schlafzimmer, öffnete den Schrank und sagte, ich solle meinen Rock ausziehen; sie nahm eine der Hosen ihres Mannes und sagte, ich solle sie
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