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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Cardella
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im Gegenteil! Freilich vernachlässigt, aber mit jener Art Schönheit ausgestattet, die nicht einmal Mühsal und Jahre zerstören können: Verdecken können sie sie vielleicht, aber nicht zunichte machen. Die Schönheit meiner Tante lag in ihren Augen, tiefschwarz und strahlend, in ihrer Art zu gehen, immer mit hocherhobenem Kopf, in ihrem Verhalten, das auch in den erniedrigendsten Momenten etwas Erhabenes und Würdevolles an sich hatte. Sie war groß, überraschend groß in Anbetracht des Durchschnitts der Dorfeinwohner und der Statur ihrer Eltern und Geschwister, von denen keiner größer als l ,65 m war; sie hatte olivbraunen Teint (auch das eher untypisch inmitten einer Bevölkerung von halben Afrikanern), langes schwarzes Haar, immer in einem Pferdeschwanz zusammengehalten, aus dem die eine oder andere Strähne herausrutschte über ihre tiefschwarzen Augen. Ihre wirkliche Schönheit aber waren die Augen. Es kam oft vor, daß sie sich müde hinsetzte und über ihr Leben klagte, das ihr nicht vergönnt hatte, ihre Töchter glücklich zu sehen wie alle anderen Kinder; aber auch in diesen Momenten der Trostlosigkeit verrieten sie ihre Augen: Sie leuchteten und enthüllten ein unerschütterliches Vertrauen in dieses Leben selbst, das ihr das Kostbarste gestohlen hatte, was es gibt, ihre Jugend.
Sie hatte keine leichte Kindheit gehabt, wie alle Kriegskinder, aber für sie war es besonders hart gewesen. Sie waren zu siebt, Kinder einer Bäckerin und eines Fischers mit einer Leidenschaft für Antiquitäten. Tante Vannina war die jüngste Tochter, aber nicht das verhätschelte Nesthäkchen. Freilich war zu jener Zeit an Verhätscheln sowieso nicht zu denken; aber es ist nicht wahr, daß das Unglück, Kind zu sein, mit den Wohlstandsjahren begann. Meine Oma zeigte eine starke Vorliebe für meinen Vater, er war der älteste. Ihm war das einzige Stück Fleisch vorbehalten, während die Geschwister zuschauen mußten und den Blick nicht von seinem Teller wenden konnten. Wahrscheinlich litten die anderen nicht einmal unter dieser weniger auf den Magen denn auf die Seele gerichteten Diskriminierung: Meine anderen Onkel und Tanten betrachteten diese Begünstigungen als einen normalen und notwendigen Tribut an eine Tugend, die nur zufällig meinem Vater zugefallen war: der älteste Sohn zu sein.
Meine Tante war sensibler und hatte vielleicht gerade deswegen immer gelitten. Die Vorteile, die mein Vater genoß, beschränkten sich nicht allein auf das Essen: Mein Vater war der einzige, der zur Schule gehen konnte, auch wenn Tante Vannina mir immer erzählte, daß sie es war, die ihm immer erklärte, was er zehnmal las und nie verstand. Sie hatte die Schule bis zur fünften Klasse besucht, aber nachts las sie dann heimlich die Bücher meines Vaters, der seinerseits immer diese Geschichte erzählt und sie damit aufzieht. Sie hatte auf Bildung verzichten und dann miterleben müssen, wie mein Vater diese Vergünstigung aus eigenem Willlen und gegen Widerstände aufgab. Sie blieb zu Hause und half meiner Oma bei der Hausarbeit, aber das wurde ihr keineswegs hoch angerechnet: Ihre Mutter hatte offenbar eine instinktive Abneigung gegen sie ... Vielleicht ist es nicht richtig, von instinktiv zu reden, denn Mutterinstinkt ist es, seine Kinder zu lieben. Ich verwende diesen Begriff im Sinne von etwas Irrationalem, das von wer weiß welchen Motiven diktiert ist.
Ganz im Gegensatz dazu betete mein Opa sie an und nahm sie als einzige der sieben mit, wenn er angeln ging oder zum Friedhof, um nach einer antiken Vase oder alten Münzen zu suchen. Aber mein Opa zählte in diesem Haus soviel wie eine Mutter in einer patriarchalischen Gesellschaft: Meine Oma war es, die das Geld verwaltete, es ihm kleinweise aushändigte und dabei nicht mit Bemerkungen über seine Unfähigkeit sparte.
Meine Tante erinnert sich an diese Jahre mit einer Spur Groll, den mein Vater nie bemerkt hat; Groll gegenüber diesem vom Glück mehr begünstigten Bruder, der sich aber seines Glücks, der Erstgeborene und noch dazu ein Mann zu sein, anscheinend nicht bewußt war. Ich habe meine Oma geliebt, aber ich kann trotzdem nicht umhin, dieses Verhalten zu verurteilen: Mein Vater war ein Halbgott, nach dem der Mutter, aber fast auf gleicher Ebene, war sein Wort auch im Elternhaus Gesetz.
Wenn sie zu wehmütiger Rückschau aufgelegt war, erzählte die Tante von ihren Erlebnissen aus jungen Jahren: Sie hing sehr an ihrer Vergangenheit und schien sie trotz allem tief zu lieben.

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