Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
heiß. Es lag auch nicht an der Dunkelheit. Ich hatte den Vorhang zurückgezogen, weil ich mich nach dem Mondlicht sehnte.
Als die Hitze nachließ und sich um mich herum die Holzwände zusammenzogen, klang das, als säßen Wölfe darin, die ächzten und stöhnten … und jederzeit bereit waren, über mich herzufallen. Ich horchte nach dir und schob mein Kissen so zurecht, dass ich die Türklinke im Blick hatte. Ich traute mich nicht, mich zu rühren, aus Angst, das kleine Geräusch dabei könnte übertönen, was draußen vor sich ging. Das Knarren in den Wänden klang nach deinen Schritten im Gang. Ich war so angespannt, dass ich davon Kopfweh bekam.
Eine Petroleumlampe verbreitete neben meinem Bett ihr schwaches Licht. Ich konnte sie schnappen, wenn es notwendig war. Konnte sie losschleudern, wenn die Tür sich scharrend öffnete. Ich überlegte mir, wohin ich zielen müsste. Im Holz neben dem Türrahmen war ein schwarzer Fleck, ungefähr in der Höhe von deinem Kopf. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich ihn treffen könnte. Aber was dann? Die Türen würden bestimmt alle abgesperrt sein, und wenn nicht, wohin sollte ich rennen, damit du mich nicht finden würdest?
Du lagst im Zimmer nebenan, nur ein paar Meter von mir entfernt … nichts als eine dünne Wand zwischen uns. Ich versuchte an die Schule zu denken, an alles außer an dich. Ich versuchte an Anna und Ben zu denken. Sogar an meine Eltern. Aber es klappte nicht. Ich kam immer wieder auf dich zurück. Wie du da drüben lagst. Wie du träumtest. Wie du an mich dachtest. Ich stellte mir vor, wie du unter diesem Haufen von Decken lagst und dir ausmaltest, wie du mich töten würdest. Vielleicht fummeltest du auch an dir rum und stelltest dir vor, ich würde dich dort anfassen. Oder vielleicht presstest du gerade ein Auge gegen einen Spalt in der Wand und sahst mir dabei zu, wie ich hier lag und auf dich wartete. Vielleicht machte dich das an. Ich lauschte, ob ich das leise Scharren deiner Wimpern am Holz hören konnte. Aber außer dem Knacken der Wände war da nichts.
An Ende schlief ich doch ein, keine Ahnung, wie. Es muss schon gegen Morgen gewesen sein, als mein Körper einfach aufgab, erschöpft von der ganzen Anspannung. Als ich einschlief, begann ich zu träumen …
Ich war wieder zu Hause. Aber ich war nicht wirklich dort; ich konnte zwar sehen, was passierte, doch niemand sah mich. Ich lehnte an dem Fenster in der Ecke vom Wohnzimmer.
Mum und Dad waren auch da, sie saßen nebeneinander auf der weißen Couch. Zwei Polizisten redeten mit ihnen, während sie unbehaglich auf den Stühlen hockten, die Mum aus Deutschland mitgebracht hatte. Ich sah Fernsehkameras und Kameraleute. Überall waren Menschen. Sogar Anna war da, sie stand hinter der Couch und hatte meiner Mutter die Hand auf die Schulter gelegt. Einer der Polizisten beugte sich mit den Ellbogen auf den Knien vor und feuerte eine Frage nach der andern auf Mum ab.
Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen, Mrs Toombs?
Hat Gemma irgendwann mal darüber gesprochen, dass sie von zu Hause weglaufen will?
Könnten Sie bitte genau beschreiben, was Ihre Tochter anhatte an diesem Tag?
Mum wirkte verwirrt. Fragend schaute sie zu Dad hinüber. Aber der Polizist war ungeduldig und blickte verärgert auf die Kameras.
»Mrs Toombs«, begann er. »Das Verschwinden Ihrer Tochter ist eine äußerst ernste Angelegenheit. Ihnen ist schon klar, dass alle Zeitungen über Sie berichten werden.«
Als sie das hörte, wischte sich Mum die Augen. Es gelang ihr sogar, ein dünnes Lächeln aufzusetzen.
»Ich bin bereit«, sagte sie. »Wir müssen tun, was wir können.«
Dad ordnete seine Krawatte. Jemand richtete einen Scheinwerfer auf die beiden und Anna musste weg aus dem Bild.
Ich versuchte zu schreien, wollte sie wissen lassen, dass ich da war, hier bei ihnen im Wohnzimmer, aber es war nichts zu hören. Mein Mund stand zwar weit offen, aber meine Stimme war irgendwo in mir stecken geblieben. Dann kam es mir auf einmal so vor, als würde mein ganzer Körper zum Fenster zurückgesaugt, als würde er sich einfach wie ein Gespenst durch die Scheibe bewegen. Und ich war plötzlich draußen in der kalten Nachtluft.
Ich drängte mich gegen das Fenster, versuchte durch das Glas zurückzuschmelzen nach drinnen. Mir war kalt und alles tat weh, ich wollte unbedingt wieder rein. Plötzlich spürte ich deinen starken Arm um mich, der mich an deine Brust zog, und fühlte deinen warmen Atem auf meiner
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